ÄRZTE MIT ZWEIGPRAXIS: WIEVIEL NOTDIENST TUT NOT?
Die KV Bayerns muss nach einem Urteil des Bundessozialgerichtes ihre Regeln für die Teilnahme der Vertragsärzte am ärztlichen Notfalldienst überarbeiten. Die Richter gaben einem Orthopäden recht, der sich gegen Sonderregelungen beim Notdienst gewehrt hatte.
KASSEL. Ärzte mit Zweigpraxis dürfen nicht zu umfangreicheren Notdiensten herangezogen werden als andere Ärzte. Das hat der Vertragsarztsenat des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel in seiner jüngsten Sitzung entschieden. Die gegenteilige Praxis der KV Bayerns ist demnach rechtswidrig. In Bayern wurden Ärzte bislang an ihrer Hauptpraxis voll und am Standort einer Zweigpraxis hälftig zu den Notdiensten herangezogen, wenn die Zweigpraxis in einem anderen Bereitschaftsdienstbezirk liegt.
Der Kläger, ein Orthopäde, arbeitete zu 70 Prozent in seiner Hauptpraxis in München und zu 30 Prozent in einer Zweigpraxis am Ammersee. Auch er sollte Bereitschaftsdienste für 1,5 Ärzte übernehmen. Die KV argumentierte, ein Arzt müsse Patienten am Standort der Zweigpraxis auch außerhalb der dortigen Sprechstunden zur Verfügung stehen und dürfe die Notdienste nicht allein den Kollegen überlassen, die dort ihren Hauptsitz haben.
Knackpunkt Anrechnungsfaktor
Der Orthopäde sah das jedoch nicht ein und klagte. Der „Anrechnungsfaktor“ von 1,5 benachteilige ihn willkürlich. In dem Streit hatte zunächst das Sozialgericht München dem Arzt, dann aber das Landessozialgericht (LSG) der KV Bayerns recht gegeben. Das BSG hob die LSG-Entscheidung nun auf und stellte das erstinstanzliche Urteil wieder her.
Es gebe zwar keinen Zweifel, dass der Orthopäde am Bereitschaftsdienst mitwirken muss – gegebenenfalls auch am Ort der Zweigpraxis. „Die Auferlegung einer um 50 Prozent erhöhten Dienstpflicht ist jedoch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes nicht vereinbar“, urteilten die Kasseler Richter.
Sie überließen den KVen aber einen weiten Spielraum, wie sie die Bereitschaftsdienste organisieren wollen. Insbesondere zeigten die Richter Verständnis für eine Heranziehung zum Notdienst auch am Ort der Zweigpraxis.
„Zweigpraxen sind Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung; und je stärker ein bestimmter Bezirk tatsächlich durch Zweigpraxen versorgt wird, desto größer kann das Bedürfnis sein, die in diesem Bezirk praktizierenden Ärzte in den Bereitschaftsdienst einzubeziehen, auch um eine Überlastung der Ärzte mit Hauptpraxen dort zu vermeiden.“
In jedem Fall zulässig wäre im Streitfall danach sicherlich eine Heranziehung zu Notdiensten zu 70 Prozent in München und 30 Prozent am Ammersee. Nach den vorläufigen Urteilsgründen wären aber vermutlich auch pauschalierende Abweichungen denkbar, hier etwa 100 Prozent in München und kein Notdienst am Ammersee, oder aber auch eine hälftige Teilung.
Den Zweig-Standort im Notdienst mit über 50 Prozent zum Hauptstandort zu machen, würde dagegen vermutlich problematisch.
Gestaltungsspielraum mit Grenzen
Aller Gestaltungsspielraum ändere aber nichts daran, „dass Ärzte mit Zweigpraxen hinsichtlich des Umfangs ihrer Verpflichtung zur Teilnahme am Dienst nicht anders behandelt werden dürfen als andere Ärzte“, betonte das BSG.
Die Bereitschaftsdienstordnung der KV Bayerns knüpfe den Umfang der Bereitschaftsdienste grundsätzlich auch sachgerecht an den Umfang der Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung. „Der Umfang des Versorgungsauftrags ändert sich jedoch durch den Betrieb einer Zweigpraxis nicht.“
Nicht zu rechtfertigen sei auch die Ungleichbehandlung die in Bayern bislang dadurch entsteht, dass Ärzte mit Zweigpraxis nur dann zu 150 Prozent Notdiensten herangezogen werden, wenn die Zweigpraxis in einem anderen Bereitschaftsdienstbezirk liegt.
Bundessozialgericht
Az.: B 6 KA 51/17 R