ZUSATZNUTZEN IN DIE KÖPFE DER VERORDNER
Innovationen werden gerne als Kostenfaktor diskutiert. Dabei droht deren therapeutischer Mehrwert aus dem Blick zu geraten. Jetzt wird die Nutzenbewertung Ärzten unverzüglich via Praxis-EDV mitgeteilt.
Berlin. Zehn Jahre frühe Nutzenbewertung – und die Bilanz des Pharmaverbandes BPI fällt nicht gerade euphorisch aus. Fast die Hälfte (44 Prozent) der seit 2011 neu in den Markt gekommenen Arzneimittel, monierte unlängst die Mittelstandsvereinigung, habe vom GBA keinen Zusatznutzen zuerkannt bekommen. Womit diese Produkte „kaum Chancen haben, sich in der Versorgung durchzusetzen“.
Umgekehrt könnte es freilich genauso gut heißen, mehr als die Hälfte der GBA-Bewertungen ließen doch ein – mehr oder weniger – gutes Haar an den jeweils neuesten Therapieoptionen. Über 438 Verfahren sind laut BPI-Auswertung einschließlich Zweitbegutachtung bis Ende vorigen Jahres abgeschlossen worden.
Erster Zweck der Nutzenbewertung war und ist es, eine Kalkulationsbasis für Erstattungspreisverhandlungen zwischen GKV und Hersteller zu erhalten. Ist ein höherer Preis durch einen therapeutischen Mehrwert gegenüber der bisherigen Standardtherapie gedeckt?
“Gewonnene Wissen kommt oft nicht in Versorgungspraxis an“
Glaubt man der Begründung zum 2017 in Kraft getretenen „Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz“, dann schaffte es dieser therapeutische Mehrwert vielfach aber nur bis in die Preisverhandlungen – nicht darüber hinaus auch in die Köpfe der Verordner.
Das mit der Nutzenbewertung „gewonnene Wissen“ über den Zusatznutzen, heißt es dort zu der Ankündigung, die Nutzenbewertung in der vertragsärztlichen Verordnungssoftware abbilden zu wollen, „kommt noch nicht in zufriedenstellendem Ausmaß in der Versorgungspraxis an“. Ärzten sollten deshalb die GBA-Beschlüsse „einfacher und schneller zugänglich“ gemacht werden.
Und jetzt ist es so weit. Zwar ist die Elektronische Arzneimittelinformationen-Verordnung (EAMIV) offiziell bereits vor einem Jahr in Kraft getreten. Die Paragrafen 2 und 3, die Mindestanforderungen an Inhalt und Darstellung formulieren, gelten jedoch erst seit Juli dieses Jahres bzw. mit dreimonatiger Verspätung seit 1.Oktober, weil die Praxis-EDV-Hersteller mehr Zeit benötigten.
Die EAMIV
- Worüber Vertragsärzte mittels ihrer Verordnungs-Programme zu informieren sind, regelt die „Elektronische Arzneimittelinformationen- Verordnung“ (EAMIV)
- Die Verordnung ist vollumfänglich zum 1. Oktober in Kraft getreten.
- Neben den üblichen Produktinformationen muss die Praxis-EDV nun auch die Patientengruppen nennen, für die ein Zusatznutzen festgestellt wurde, Ausmaß und Aussagesicherheit des Zusatznutzens sowie die zusammenfassende Beschlussbegründung zu Mortalität. Morbidität, Lebensqualität und Nebenwirkungen.
- Zuerst werden die jüngsten Nutzenbewertungen des GBA eingepflegt. Altbeschlüsse sollen nach und nach folgen.
- Volltext der Verordnung online
Herausfordernd scheint die Kenntnisnahme des Zusatznutzens via Praxis-EDV vor allem deshalb, weil sich die politische Diskussion lange Zeit um die Frage drehte, ob damit nicht auch neue Wege der Verordnungssteuerung eingeschlagen würden, die den Regressdruck weiter erhöhen.
Unterdessen jedoch begrüßt die KBV, dass die Jahrestherapiekosten einer Innovation in der Arztinformation nicht aufgeführt werden, die veranlassten Kosten also an dieser Stelle erstmal keine sichtbare Rolle spielen. Entwarnung in Sachen Verordnungssteuerung gibt auch der Berliner Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht, Dr. Gerhard Nitz.
Tatsächlich, so Nitz im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“, sei die Nutzenbewertung des GBA „ja nicht nur Grundlage für Preisverhandlungen zwischen Pharmaunternehmen und dem GKV-Spitzenverband, sondern auch eine Informationsquelle für den Arzt, der nun für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen bereits ein halbes Jahr nach Einführung weiß, wie der GBA dieses neue Arzneimittel sieht“.
Und trotz teils berechtigter Kritik an der Methodik des Selbstverwaltungsgremiums zeigten dessen Beschlüsse doch, dass für neue Arzneimittel häufig ein Zusatznutzen belegt werden konnte. Nitz: „Das sollte einen Arzt ermuntern, über die Verordnung dieser Innovation nachzudenken.“