Wann die Zwölf-Wochen-Verordnung bei Heilmitteln greift
Liegt ein besonderer Bedarf vor, können Heilmittel für bis zu zwölf Wochen verordnet werden. Auch dann, wenn das zugehörige Akutereignis schon länger zurückliegt. Bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung zählen solche Verordnungen nicht mit.
Auch wenn die Krankenkassen längst erkannt haben, dass Heilmittel ein wichtiger Bestandteil der Therapie sind und Folgekosten senken können, die Verordnungen der Ärztinnen und Ärzte haben sie dennoch im Blick. Es droht also stetig Regressärger. Vor allem bei Diagnosen, die einen besonderen Versorgungsbedarf begründen, gab es in der jüngeren Vergangenheit „Unsicherheiten“ bei Verordnern und Kassen, wie der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) so schön feststellte.
Positiv für Praxen: Diese Unsicherheiten haben den Bundesausschuss dazu bewogen, klarzustellen, wo die Grenzen des langfristigen und des besonderen Verordnungsbedarfs liegen. Eine Klarstellung, die eindeutig zugunsten der Patientinnen und Patienten ausgefallen ist. Seit dem 23. Januar dieses Jahres ist sie in Kraft.
Höchstmenge wird ausgehebelt
Langfristig bedeutet dabei, dass ein Heilmittel für bis zu zwölf Wochen verordnet werden kann. Die Höchstmengen aus dem Heilmittelkatalog, die meist sechs bis zehn Behandlungseinheiten je Verordnung umfassen, werden also in diesen Fällen ausgehebelt.
Dabei gilt: Welche Indikationen einen langfristigen Heilmittelbedarf rechtfertigen, definiert der G-BA in einer Diagnoseliste. Für Erkrankungen, die einen „besonderen Verordnungsbedarf“ auslösen können, gibt es indes eine gesonderte Diagnoseliste, auf die sich KBV und der Spitzenverband der Krankenkassen einigen.
Nun beinhalten beide Diagnoselisten aber Spezifikationen und Hinweise für die Bemessungseinheiten je Verordnung. So steht in der Diagnoseliste von KBV und GKV-Spitzenverband für die Diagnose M23.5 (Chronische Instabilität des Kniegelenks) etwa „längstens 6 Monate nach Akutereignis“. Und genau hier liegt laut G-BA das Problem. Diese Hinweise seien nämlich „nicht bindend“. Für Ärztinnen und Ärzte heißt das, für die jeweilige Erkrankung darf auch dann eine Verordnung für zwölf Wochen ausgestellt werden, wenn das Akutereignis schon länger zurückliegt. Das kann etwa bei Schlaganfallpatienten oder nach einer Op hilfreich sein, aber ebenso in Sachen Post-COVID. Denn seit Juli 2021 ist das Post-COVID-Syndrom als besonderer Verordnungsbedarf anerkannt.
Weniger Arztbesuche, weniger Zuzahlung
Die KBV bringt den Vorteil in einer Info zu der Klarstellung auf den Punkt: Patienten „mit schweren und langfristigen funktionellen oder strukturellen Schädigungen“ müssen nicht mehrmals im Quartal nur für die Heilmittel-Verordnung die Praxis aufsuchen. Das spart Ressourcen. Und für Patienten verringere sich die Zuzahlung, die ja pro Verordnung anfällt.
Wichtig ist zudem, dass seit 2021 der Verordnungsfall immer je Ärztin/Arzt angesetzt wird. Ärzte müssen also nicht mehr im Blick haben, wann Patienten bereits von anderen Ärzten Heilmittel verordnet bekommen haben. Der Verordnungsfall besteht so lange, bis die Behandlung abgeschlossen ist. „Vergehen sechs Monate, ohne dass derselbe Arzt demselben Patienten Heilmittel verordnet hat, entsteht ein neuer Verordnungsfall“, erläutert die KBV in ihrem Ratgeber „PraxisWissen Heilmittel“.
Achtung bei Hinweisen zum Alter
Bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung werden Verordnungen des langfristigen Heilmittelbedarfs übrigens gar nicht herangezogen. Kosten für Verordnungen bei besonderem Bedarf werden hingegen aus dem ärztlichen Verordnungsvolumen herausgerechnet. Hierunter fallen etwa Heilmittel bei Multipler Sklerose, Hüftgelenksprothesen und eben Long-COVID.
Allerdings gibt es für die aktuelle Klarstellung des G-BA eine Ausnahme. Wird in den Diagnoselisten ein Altershinweis gegeben, ist dieser sehr wohl für die Verordnung bindend. Wird für einen ICD-10-Code also ein Mindest- oder Höchstalter genannt, ist eine Verordnung für den Zeitraum von zwölf Wochen nur möglich, wenn die Patientin oder der Patient das Alterskriterium erfüllt. Ein Beispiel: Für den ICD-10-Code R42 (Schwindel und Taumel) darf Physiotherapie als Zwölf-Wochen-Verordnung erst ab dem vollendeten 70. Lebensjahr erfolgen. Dasselbe gilt für die Diagnose M80.0 (Postmenopausale Osteoporose mit pathologischer Fraktur).