VORLÄUFIGER VERTRAGSARZTSITZ: VORSICHT BEI VORSCHNELLER PRAXISGRÜNDUNG
Wer auf Basis einer vorläufigen Entscheidung des Berufungsausschusses eine Praxis gründet, muss damit rechnen, dass dieses Votum revidiert werden kann, so das Bundessozialgericht. Im konkreten Fall hatten zwei Orthopäden um dieselbe Zulassung gekämpft.
KASSEL. Ärzte müssen es sich gut überlegen, ob sie bereits auf der Basis vorläufiger Entscheidungen über ihren Vertragsarztsitz eine Praxis aufbauen.
Denn selbst nach drei Jahren kann der Sitz dann letztlich doch noch weg sein, wie jetzt der Fall eines Orthopäden in Thüringen zeigt, über den der Vertragsarztsenat des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel in seiner jüngsten Sitzung entschied.
Konkret geht es um den wegen Überversorgung im Fachgebiet Orthopädie lange gesperrten Planungsbereich Jena. Mit Blick auf die demografische Entwicklung wurde jedoch 2011 ein zusätzlicher Sitz freigegeben.
Darauf bewarben sich ein Arzt für Orthopädie und Unfallchirurgie sowie eine Ärztin für Orthopädie. Der Berufungsausschuss sprach im August 2011 den Sitz dem Arzt zu und ordnete die sofortige Vollziehung an.
Dies nutzte der Orthopäde – wohl wissend, dass die Wettbewerberin vor Gericht zog. Nach den gerichtlichen Eilbeschlüssen konnte der Arzt seine Praxis zunächst fortführen. Im Hauptverfahren hob das Thüringer Landessozialgericht (LSG) in Erfurt die Zulassungsentscheidung dann aber auf.
Diese sei ermessensfehlerhaft und nicht nachvollziehbar begründet. Daher müsse der Berufungsausschuss neu entscheiden, so das LSG. Eine dagegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde wies der BSG-Vertragsarztsenat im Juli 2014 ab.
Kein Raum für Vertrauensschutz
In seiner neuen Entscheidung wählte der Berufungsausschuss im November 2014 nunmehr die Orthopädin aus. Er hob die Zulassung des Orthopäden zum Jahresende 2014 auf und ließ seine Konkurrentin zum 1. Januar 2015 zu.
Nun klagte der Orthopäde und hatte damit zunächst auch Erfolg. Sozialgericht und LSG meinten, der Berufungsausschuss müsse ein drittes Mal entscheiden.
Das BSG hob diese Urteile jedoch auf und bestätigte die Auswahl der Orthopädin. Das Approbationsalter sei bei beiden Bewerbern nahezu gleich, und auch sonst sei eine klare Überlegenheit eines Bewerbers hier nicht erkennbar.
Daher bleibe dem Berufungsausschuss ein Ermessen, von dem er fehlerfrei gebraucht gemacht habe.
So habe der Berufungsausschuss bei seiner zweiten Entscheidung darauf abstellen dürfen, dass der neu zu besetzende Sitz durch die Einführung des Demografiefaktors entstanden ist.
Wegen der besonderen Erfahrung der Orthopädin im Bereich der konservativ-orthopädischen Behandlung habe der Ausschuss davon ausgehen dürfen, dass sie "zur Deckung dieses Bedarfs geeigneter ist", bestätigten die Kasseler Richter.
Dabei sahen sie durchaus das Problem, eine Praxis nach drei Jahren wieder zu verlieren. Da der Orthopäde sie auf der Basis vorläufiger Entscheidungen aufgebaut habe, bleibe für Vertrauensschutz aber kein Raum.