Urteil des Bundesgerichtshof: Kern der ärztlichen Aufklärung immer mündlich
Karlsruhe. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die Anforderungen an die ärztliche Aufklärung konkretisiert. In einem am Dienstag veröffentlichten Urteil bekräftigten die Karlsruher Richter insbesondere, dass die Aufklärung vorrangig mündlich zu erfolgen hat. Wenn wichtige Risiken nur im Aufklärungsbogen vorkommen, reiche dies nicht aus.
Der Kläger hatte zunehmende Schmerzen im rechten Sprunggelenk und suchte 2015 einen Unfallchirurgen in Südhessen auf. Weil konservative Therapien nicht halfen, schlug der Arzt 2016 eine arthroskopische Untersuchung und Operation vor. Bei dem ambulanten Eingriff wurden 14 Gelenkkörper festgestellt und entfernt, 17 weitere später in einer Klinik.
Schon nach dem ersten Eingriff klagte der Mann über zunehmende Schmerzen und „Missempfindungen“ bei Berührungen des Fußrückens. Die neurologische Abklärung im Februar 2017 ergab ein Neurom an der Einstichstelle des Arthroskops am Fußrücken sowie eine Hyperalgesie im Bereich des Innervationsgebietes des Nervus peroneus superficialis.
Kläger fühlte sich über mögliche Folgen einer Arthroskopie nicht richtig aufgeklärt
Als Folge ist der Kläger zu 60 Prozent schwerbehindert und dauerhaft erwerbsunfähig. Von dem Chirurgen verlangt er Schadenersatz. Dieser habe nicht über die Risiken der Arthroskopie aufgeklärt, insbesondere nicht über das Risiko einer Nervenschädigung. Auch habe der Arzt nicht darauf hingewiesen, dass so möglicherweise nicht alle Gelenkkörper entfernt werden könnten.
Im Aufklärungsbogen waren diese Risiken beschrieben. Ob und inwieweit darüber auch gesprochen wurde, war zwischen Arzt und Patient umstritten. Genau darauf kommt es nach dem jetzt schriftlich veröffentlichten BGH-Urteil jedoch an.
Inhaltlich müssten bei der Aufklärung die möglichen Risiken zwar nicht „exakt medizinisch“ beschrieben werden. „Es genügt vielmehr, den Patienten ‚im Großen und Ganzen‘ über Chancen und Risiken der Behandlung aufzuklären und ihm dadurch eine allgemeine Vorstellung von dem Ausmaß der mit dem Eingriff verbundenen Gefahren zu vermitteln“, heißt es in dem Karlsruher Urteil. Über schwerwiegende und das weitere Leben belastende Risiken sei aber „grundsätzlich auch dann aufzuklären, „wenn sie sich nur selten verwirklichen“.
Mündlichen Inhalte des Gesprächs müssen nun geklärt werden
Zur Form bestimme das Gesetz (Paragraf 630e Abs. 2 BGB), „dass die Aufklärung mündlich zu erfolgen hat“. Dabei könne auf Aufklärungsbögen oder andere schriftliche Unterlagen Bezug genommen werden. Der Gesetzgeber habe aber gewollt, dass Patienten Rückfragen stellen können und die mündliche Aufklärung „nicht auf einen lediglich formalen Merkposten innerhalb eines Aufklärungsbogens reduziert wird“.
Vielmehr müsse „ein vertrauensvolles Gespräch“ Kern der Aufklärung sein, forderte der BGH. Dabei müsse der Arzt auf individuelle Belange des Patienten eingehen und sich davon überzeugen, „dass der Patient mündliche wie schriftliche Hinweise und Informationen verstanden hat“.
Im Streitfall muss daher das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die mündlichen Inhalte des Aufklärungsgesprächs genauer klären, insbesondere, ob auch das Risiko einer Nervenschädigung Thema war. Schriftliche Hinweise im Aufklärungsbogen reichten hierzu nicht aus. (mwo)
Urteil des Bundesgerichtshofs, Az.: VI ZR 188/23