SO KLAPPEN VIDEOSPRECHSTUNDEN IN DER PRAXIS
Videosprechstunden können den Praxisalltag entzerren. Ein Selbstläufer sind sie aber nicht. Julia Otto hat den Prozess in einer 18-köpfigen Praxis – erfolgreich – durchlaufen.
Die Zahlen klingen für Digitalisierungsfreunde vielversprechend: Rund 3,5 Millionen Videosprechstunden wurden 2021 von Vertragsärztinnen und -ärzten abgerechnet und demnach auch erbracht. Das hat das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in seinem Zi-Trendreport ermittelt. Insgesamt scheine sich das Niveau bei den Videosprechstunden im Bereich von rund 180 000 bis 300 000 Videosprechstunden pro Monat eingependelt zu haben, heißt es.
Dass die Videosprechstunde aber alles andere als ein Selbstläufer ist, weiß MFA und Praxismanagerin Julia Otto. Die Videokontakte können den Arbeitsalltag der Praxen erleichtern und vor allem ein guter Service für Patienten sein – sofern die Teams sie gut vorbereiten.
Die Pandemie hat da auf beiden Seiten einiges bewegt, meint die leitende MFA einer Praxis im Münsterland, die neben dem hausärztlichen Bereich auch einen kardiologischen und orthopädischen Schwerpunkt hat. „Die Pandemie hat uns schon einen Ruck gegeben und uns eine ganz andere Argumentationsbasis geliefert“, so Otto. Vor Corona hat die Praxis ein, zwei Videosprechstunden in der Woche erbracht. „Jetzt sind es bis zu zehn pro Woche.“
Drei von fünf Ärztinnen bieten Videosprechstunden an
Bei fünf Ärztinnen und Ärzten und 13 MFA-Kolleginnen, wobei nur drei Ärzte Videosprechstunden anbieten, noch immer eine überschaubare Größe. Allerdings sind auch nur ganz bestimmte Behandlungsanlässe per Videokontakt abdeckbar und im Vorfeld einige Hürden zu überwinden. Viele Patienten winkten ab, wenn sie sich für den Videokontakt extra beim Videosprechstundenanbieter registrieren müssen, so Ottos Erfahrung.
Die Praxis im Münsterland nutzt aktuell den Videodienst ihres Online-Terminkalender-Anbieters. Der Vorteil: Die Patienten erhielten mit der Terminbestätigung für den Online-Kontakt direkt den Link für die spätere Videosprechstunde. „Den müssen sie dann nur anklicken.“
Während der Pandemie wurden Impftermine zeitweilig ausschließlich online vergeben, so wurden die Patienten an das Medium gewöhnt. Wichtig laut Otto: Für Videosprechstunden sollten extra Zeitslots reserviert werden. „Es sind ja in der Regel Patienten, die eine AU brauchen, weil sie eine Erkältung oder Magen-Darm haben“, berichtet sie. Genau in diesen Fällen ist der Videokontakt eine echte Erleichterung und Zeitersparnis fürs komplette Praxisteam – denn der Rest der Praxisinfrastruktur wird hier nicht oder kaum beansprucht.
Videosprechstunden außerhalb der Sprechstundenzeiten
Die Münsterländer Praxis nutzt die Videosprechstunde zudem, um die Sprechzeit der Praxis – als Service – zu erweitern. So werden etwa Slots nur für Videosprechstunden außerhalb der regulären Sprechstundenzeiten vergeben, auch um einen zusätzlichen Anreiz für die Nutzung der Videosprechstunde zu schaffen. Und die Patienten erhalten, solange das E-Rezept noch nicht bundesweit läuft, den Service, dass sie Rezepte zugeschickt bekommen. „Wir haben einige Berufspendler unter den Patienten, die unter der Woche nicht vor Ort sind, für die ist die Videosprechstunde ein echter Vorteil“, so Otto.
Damit sich der Videokontakt gut in den Praxisalltag integriert, rät Otto:
Die Videosprechstunde erst einmal am Team ausprobieren. „Am Anfang fühlt sich die Videosprechstunde komisch an, aber je öfter man das übt und macht, umso besser läuft die Gesprächsführung mit Patienten über die Online-Leitung“, sagt sie.
Wenn eine Ärztin/ein Arzt in einer Videosprechstunde ist, darf nicht gestört werden. Also Tür zu, wie beim analogen Patientengespräch.
Auf eine gute Webcam achten und besser mit Headset arbeiten, weil hier weniger Störgeräusche erzeugt werden.
Eine Ansprechpartnerin/MFA in der Praxis sollte das Projekt Videosprechstunde fest betreuen. Die MFA hält natürlich nicht selbst Videosprechstunden ab. Sie kümmert sich aber um Technikfragen und vor allem die einheitliche Kommunikationsstrategie in Richtung Patienten. Letztere sollte in Teamsitzungen auch regelmäßig geübt werden, empfiehlt Otto.
Das Team in der Münsterländer Praxis arbeitet mit Hinweisen auf der Website, auf der Telefonansage und einem Infoplakat in der Praxis. „Außerdem sprechen wir Patienten, von denen wir meinen, das ist was für sie, gezielt an.“
Niemals glauben, Videosprechstunden sind nur was für junge Patienten. „Wir haben viele ältere, die den Videokontakt nutzen.“ Otto gibt aber zu: „Man ist schon anfangs überrascht, wenn eine 70-Jährige vor einem steht und nach der Videosprechstunde fragt, weil sie ja jetzt auch ein Smartphone hat.“
Vorher gut informieren, welche Leistungen über Videosprechstunde möglich sind.
Wichtig ist zudem, dass die Praxen einen von der KV zertifizierten Videodienst nutzen und die Videosprechstunde bei ihrer KV vorab anmelden, sonst dürfen die Leistungen nicht abgerechnet werden. Wie die einzelnen KVen verfahren, verrät eine Liste auf der Website der KBV.
Dass Patienten die Videotermine ausnutzen, um mehr Gesprächszeit zu bekommen, kann Otto nicht beobachten. Meist seien es kurze Termine – das hängt aber natürlich auch an der Gesprächsführung von Ärztin oder Arzt. Dass Patienten Termine buchen und dann nicht in Anspruch nehmen, sei bislang noch gar nicht vorgekommen.