PATIENTENBERATUNG WIRD NEU GEDACHT
Die Patientenberatung steht vor einem organisatorischen Neubeginn. Eine Stiftung der Krankenkassen soll Patienten bei Fragen überwiegend telefonisch und digital informieren. Angehörige vulnerabler Patientengruppen sollen zusätzlich Rat in Gesundheitskiosken finden.
Legt man die Pläne des Gesundheitsministeriums nebeneinander, ergibt sich ein neues Bild der Beratungslandschaft in Deutschland. Rund 1000 Gesundheitskioske sollen künftig Menschen in sozial benachteiligten Stadtvierteln vor Ort unter anderem als neues Beratungsangebot mit Lotsenfunktion durch das komplexe Gesundheitswesen dienen.
Damit lässt Minister Professor Karl Lauterbach die Idee der Gesundheitsläden aus den 70er-Jahren in modernem Gewand wieder aufleben. Die gehörten zu Sponti-Zeiten mit zu den Keimzellen der heutigen Unabhängigen Patientenberatung.
Auch der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland stehen – wieder einmal – Änderungen ins Haus. Sie soll gesetzlich klar definiert ein „zentral organisiertes digitales und telefonisches Informations-und Beratungsangebot“ schaffen sowie regionale Informations-und Beratungsangebote vorhalten.
Über diesem Unterbau sollen zudem ein Bundesinstitut für öffentliche Gesundheit und ein Präventionsinstitut schweben. Sie würden die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ersetzen.
Hier gelangen Sie zur UPD-Zeitleiste von 1999 bis heute.
Anschein der Unabhängigkeit
Die Unabhängige Patientenberatung steht also wieder einmal vor einem Neubeginn. Bis 2024 soll die UPD in eine rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts überführt werden. Das bislang nur einmal praktizierte Ausschreibungsverfahren würde damit bereits nach sieben Jahren wieder kassiert. So sieht es der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP vor. Und so geht es aus einem Referentenentwurf eines „Gesetzes zur Errichtung einer Stiftung Unabhängige Patientenberatung Deutschland“ aus dem Gesundheitsministerium hervor, der der Ärzte Zeitung vorliegt.
Über die Verfassung der UPD wird seit ihren Anfängen vor mehr als 20 Jahren gestritten. Jeder Wechsel in ihren Strukturen wurde jeweils von kontroversen Diskussionen begleitet. Und so hat es auch bei diesem neuerlichen Anlauf nicht lange gedauert, bis nach Bekanntwerden der Pläne aus dem Gesundheitsministerium Mitte Oktober Gegenwind aufkam.
Ein vom Verband der Privaten Krankenversicherung beauftragter Gutachter merkte an, dass die vom Ministerium gewählte Konstruktion der Stiftungsfinanzierung verfassungswidrig sei. Konkret: Die Privaten Krankenversicherer mit 1.050.000 Euro zur Finanzierung der Patientenberatung heranzuziehen, greife unzulässig in die Berufsfreiheit der Versicherungsunternehmen ein.
Schon vor gut zwei Jahren hatte der Bundesrechnungshof angemerkt, dass sich die auf sieben Jahre befristete Vergabe der Patientenberatung zumal an einen privaten und gewinnorientierten Träger nicht bewährt habe. Künftig solle die enge Bindung der UPD an ein gewinnorientiertes Wirtschaftsunternehmen vermieden werden, „um schon dem Anschein fehlender Unabhängigkeit entgegenzutreten“.
Die Basler Prognos AG verwies in einem Gutachten zudem darauf hin, dass bei einem Wechsel der Trägerschaft nach einer Ausschreibung jeweils Beratungskompetenzen und Strukturen verloren zu gehen drohten. Außerdem wies Prognos darauf hin, dass ein „telefonisches Breitenangebot“ andere Strukturen erfordere als ein niedrigschwelliges Beratungsangebot für vulnerable Zielgruppen.
Neubeginn mit Stiftungsmodell?
Die zukünftige „Stiftung Unabhängige Patientenberatung Deutschland“ soll nun vom Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen errichtet werden. Am 1. Januar 2024 soll sie die Arbeit aufnehmen. Ihr Ziel laut Entwurf ist erklärtermaßen, die „Gesundheitskompetenz der Patientinnen und Patienten“ sowie die „Patientenorientierung im Gesundheitswesen“ zu stärken. Zudem soll die Stiftung „mögliche Problemlagen im Gesundheitswesen“ aufzeigen.
Die Stiftung soll neben Vorstand und Stiftungsrat auch einen Wissenschaftlichen Beirat zu ihren Organen zählen. Im Stiftungsrat sollen der jeweilige Patientenbeauftragte der Regierung, zwei Mitglieder des Deutschen Bundestages, Vertreter des Bundesgesundheits- und des Verbraucherschutzministeriums sowie je ein Vertreter des GKV-Spitzenverbandes und des Verbandes der Privaten Krankenversicherung sitzen.
Dem wissenschaftlichen Beirat wiederum sollen sechs unabhängige Sachverständige angehören. Die „maßgeblichen Patientenorganisationen“, so der Entwurf sollen ein Vorschlagsrecht für zwei Personen zur Berufung in den Vorstand erhalten.
Zu stark verflochten mit der Wirtschaft
Die zu gründende Stiftung soll finanziell besser ausgestattet werden als die jetzige gemeinnützige GmbH, hinter der der Kommunikationsdienstleister Sanvartis GmbH steht. Bislang erhält die UPD 9,6 Millionen Euro im Jahr, die der GKV-Spitzenverband und der Verband der Privaten Krankenversicherung aufbringen.
Lauterbach hat nun einen Entwurf vorgelegt, der vorsieht, den GKV-Spitzenverband eine „Stiftung Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) errichten zu lassen. Der Verband soll demnach die Stiftung ab 2024 mit 15 Millionen Euro im Jahr finanzieren. Die PKV soll sich daran mit einem Anteil von sieben Prozent beteiligen.
Die aktuelle Konstruktion der UPD aus dem Jahr 2015 stand spätestens seit dem Verkauf der Gesellschaft 2018 an die Careforce GmbH in der Kritik. Die UPD wurde damit Teil einer Holding, zu der Dienstleister für die Pharma- und Medizintechnik-Industrie sowie für Krankenkassen, aber auch ein Hedgefonds beteiligt ist. Patienten- und Sozialverbände stellten die Unabhängigkeit und Neutralität des Beratungsangebots umgehend in Frage.
Das von der Sanvartis GmbH anvisierte Ziel von 225.000 Beratungen im Jahr wurde Jahr für Jahr verfehlt. Im vergangenen Jahr wurden 144 .000 Beratungen erreicht, im Jahr zuvor hatte es einen auf Corona zurückgeführten Spitzenwert von rund 170.000 Beratungen gegeben. Im August 2021 strich der Bundestag im Gesetz zur Zusammenführung der Krebsregisterdaten das Ausschreibungs- und Vergabeverfahren für die Patientenberatung und stellte damit die Weichen für die institutionelle Neuaufstellung der Patientenberatung.
Gutachter sieht Grundgesetz verletzt
Im Koalitionsvertrag haben sich SPD, Grünen und FDP darauf verständigt, „die UPD in eine dauerhafte, staatsferne und unabhängige Struktur unter Beteiligung der maßgeblichen Patientenorganisationen“ zu überführen.
Die Pläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach sind in Teilen von der Rechtswissenschaft allerdings bereits angezählt.
Eine Verpflichtung der Privaten Krankenversicherer, die neue Patientenberatung gemeinsam mit der Gesetzlichen Krankenversicherung zu finanzieren wird in einem Gutachten als verfassungswidrig beschrieben.
Gutachter: Finanzierung aus Steuern
Der renommierte Sozialwissenschaftler Professor Gregor Thüsing von der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn kommt in einem Gutachten für den PKV-Verband zu dem Schluss, dass die Beteiligung der PKV an der Finanzierung nicht sicherstelle, dass die Beratungen der UPD anteilsmäßig auch den Privatversicherten zugute komme.
Die Verpflichtung der PKV würde daher unzulässig in die Berufsfreiheit der Versicherungsunternehmen eingreifen. Thüsing hält daher eine Finanzierung der neuen UPD durch Steuermittel für geboten. Dies hatte auch eine Mehrheit der Experten in einer Anhörung vor dem Gesundheitsausschuss des Bundestages am 9. November betont.
Der PKV-Verband bezeichnete den Ansatz des Gesundheitsministers daraufhin als „nicht geeignet“, die im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziele rechtssicher umzusetzen. Der Koalitionsvertrag sieht tatsächlich nur die Errichtung einer Stiftung vor. Zur Art der Finanzierung findet sich dort keine Aussage.
Thüsing beruft sich unter anderem auf das Urteil des Bundessozialgerichts zur Finanzierung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Das hatte festgehalten, dass die Belastung der Beitragszahler sich auf die Finanzierung von Leistungen innerhalb der Sozialversicherung beschränke.
Dritte außerhalb der Sozialversicherung sollten davon nicht profitieren dürfen. Im vorliegenden Fall sei die PKV nicht verantwortlich zu machen für Kosten, die bei der Beratung gesetzlich Versicherter entstünden.
Die UPD von 1999 bis heute
1999 – Die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) wird im Paragrafen 65b als Modellvorhaben ins Sozialgesetzbuch V aufgenommen.
2001 bis 2010 – Zwei Modellphasen. Zuständig sind der Sozialverband VDK, der Verbraucherzentrale Bundesverband und der Verbund Unabhängige Patientenberatung. Die 22 Beratungsstellen werden von den Kassen finanziert.
2011 – Der Bundestag öffnet die Patientenberatung mit dem Arzneimittelneuordnungsgesetz ab 1. Januar 2011 für den Regelbetrieb. Die Gesellschafter der Gemeinnützigen GmbH sind der Sozialverband VdK, der Verbraucherzentrale Bundesverband und der Verbund unabhängige Patientenberatung.
2016 – Mit dem GKV-Finanzstruktur-und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz ändern sich die gesetzlichen Bedingungen. Die UPD gGmbH wird ausgeschrieben. Die Fördersumme wächst ab 2016 auf 9 Millionen Euro an. Die Sanvartis GmbH erhält den Zuschlag. Das Unternehmen wird 2017 an die Careforce Sanvartis Holding GmbH verkauft, die auch für pharmazeutische Unternehmen tätig ist. Auf Umwegen ist die UPD damit im Umfeld eines Hedgefonds gelandet.
2020 – Der Bundesrechnungshof stellt wertungsfrei fest, dass gut ein Drittel der Fördersumme von neun Millionen Euro im Jahr an die Sanvartis GmbH und weitere Unternehmen fließen. Gleichzeitig sieht er aber keine Anhaltspunkte für eine mögliche Beeinträchtigung der Neutralität der Patientenberatung. Die Abhängigkeit der GmbH könne allerdings den „Eindruck fehlender Neutralität in der Beratung“ hervorrufen.
2022 – Pläne von Gesundheitsminister Karl Lauterbach sehen vor, die UPD ab 2024 in eine Stiftung zu überführen. Errichten soll die Stiftung der GKV-Spitzenverband. Die Fördersumme soll auf 15 Millionen Euro erhöht werden. Für die Übergangszeit bis zur Neustrukturierung der Patientenberatung soll die Sanvartis GmbH die Geschäfte der UPD kommissarisch weiterführen.