NEUE ABRECHNUNGSEMPFEHLUNGEN FÜR PRIVATE TELEMEDIZIN
Die eine oder andere im Fernkontakt erbrachte Privatleistung wurde bisher vielleicht analog zu einer besser dotierten GOÄ-Ziffer kalkuliert. Dafür erhöht sich mit den neuen Abrechnungsempfehlungen der BÄK zur Telemedizin die Konfliktfestigkeit der Rechnungsstellung. Im Interview nehmen BÄK und der Geschäftsführer der PVS-Süd Stellung.
Die Einführung der Videosprechstunde in die Kassenversorgung wurde von breiter, auch über die Fachmedien hinausreichender Medienpräsenz begleitet. Die kürzlich von der Bundesärztekammer bekanntgegebenen „Abrechnungsempfehlungen zu telemedizinischen Leistungen“ nach GOÄ hingegen wurden ohne großen Bahnhof verabschiedet. Zwar war in der PKV auch zuvor schon Telemedizin prinzipiell möglich, da anders als in der GKV die Vertragsbeziehung zwischen Arzt und Patient nicht abschließend katalogisiert ist. Die Abrechnungsempfehlungen der BÄK erhöhen nun allerdings ganz erheblich die alltägliche Planungssicherheit; Diskussionen um die Kostenübernahme sind bei konformer Rechnungsstellung auszuschließen.
Zum programmatischen Gehalt der Empfehlungen – nicht zuletzt hinsichtlich der GOÄ-Reform – sowie deren konkreter Handhabung im Praxisalltag fragten wir bei der Bundesärztekammer und bei der Privatärztlichen Verrechnungsstelle Südwest nach. Für die PVS antwortete deren Geschäfstführer Peter Gabriel.
ÄrzteZeitung: Mit den „Abrechnungsempfehlungen zu telemedizinischen Leistungen“ hält die Telemedizin nun auch ganz offiziell in größerem Umfang Einzug in die privatärztliche Praxis. Inwieweit sind die Empfehlungen mit der PKV konsentiert?
BÄK: Die Abrechnungsempfehlungen basieren im Wesentlichen auf entsprechend konsentierten Leistungslegendierungen des Entwurfes einer neuen GOÄ. Dieser Entwurf ist mit den eingebundenen ärztlichen Berufsverbänden und Fachgesellschaften sowie der PKV und über diese mit der Beihilfe konsentiert. Im Vorfeld der Beschlussfassung der Abrechnungsempfehlungen wurde in Gesprächen mit dem PKV-Verband die Akzeptanz der privaten Krankenversicherer und der Beihilfestellen eruiert. In diesen Gesprächen stellte sich – wie zu erwarten – die gleiche Sichtweise heraus, so dass die Bundesärztekammer bei korrekter Anwendung von einer unproblematischen Kostenerstattung ausgeht. Darüber hinaus wurden selbstverständlich die Landesärztekammern eingebunden.
Was ist der Grund dafür, dass die Empfehlungen gerade jetzt kommen? Hat die Corona-Krise auch in der PKV einen telemedizinischen Motivationsschub bewirkt?
BÄK: Die Arbeit an den Abrechnungsempfehlungen und die Gespräche mit dem PKV-Verband wurden schon 2019 nach Konsentierung der Leistungslegenden des Entwurfes einer neuen GOÄ begonnen. Im Zuge der Pandemie haben telemedizinische Leistungen einen deutlich höheren Stellenwert erhalten, so dass die Gremienabstimmungen innerhalb der BÄK vorgezogen wurden.
Sind vor Verabschiedung der neuen GOÄ noch weitere Empfehlungen zur privatärztlichen Telemedizin geplant, oder ist jetzt erst einmal das Ende der Fahnenstange erreicht?
BÄK: Die Abrechnungsempfehlungen bilden im Wesentlichen den Konsens auf der Grundlage des Entwurfes einer neuen GOÄ ab.
Inwieweit kann oder sollte sogar bei der telemedizinischen Leistungserbringung die Gebühr gesteigert werden? Zum Beispiel bei der Einweisung in Funktion und Handhabung digitaler Gesundheitsanwendungen. Das soll den Empfehlungen zufolge analog zur GOÄ-Nr. 76 (schriftlicher Diätplan) abgerechnet werden. 9,38 Euro (bei Faktor 2,3) erscheinen aber doch etwas dünn für einen solchen Gesprächsaufwand.
PVS Südwest: Für die Gesprächsleistungen , also die telemedizinische Beratung, kann die Ziffer 1 und 3 berechnet werden, bei einer längeren Gesprächsdauer (mehr als 10 Minuten bei Ziffer 3) kann auch über den 2,3-fachen Satz hinaus gesteigert werden, hierbei sollte dann begründend auf die konkrete Gesprächsdauer verwiesen werden. Analog gilt dies auch für die Ziffer 76 – was die Steigerungsfähigkeit betrifft, gelten hier keine anderen Bedingungen, als es bei einem echten Praxisbesuch des Patienten der Fall wäre.
Wieso sind Chats ausdrücklich von der Abrechnung ausgeschlossen? Eine mittels sicherem Messenger-Dienst gestellte Frage an einen Arzt, die dann etwas Recherchearbeit erfordert und via Messenger-Dienst zeitversetzt beantwortet wird, muss doch qualitativ nicht schlechter sein als eine E-Mail – und ist vielleicht sogar noch sicherer.
BÄK: Ein Chat kann mehr als eine Person oder einen Patienten umfassen, insofern sieht die Bundesärztekammer hier aus datenschutzrechtlichen Gründen Schwierigkeiten, die ärztliche Schweigepflicht und die Sicherheit der den einzelnen Patienten betreffenden Informationen sicherzustellen.
PVS Südwest: Wir vermuten, dass man Chats auch deshalb ausschließen wollte, weil diese dank künstlicher Intelligenz vollautomatisch erfolgen können und daher die eigentliche Leistung des Arztes in Form einer Beratung gar nicht anfallen würde. Zudem ist die Identifizierung der Person, die sich an den Chats beteiligt, unsicher.
Wie ist eine symptombezogene Untersuchung per Video (laut BÄK-Empfehlung analog nach GOÄ-Nr. 5 abzurechnen) vorstellbar? Oder ist der Umfang dieser Untersuchung dem Arzt anheimgestellt?
PVS Südwest: Eine Untersuchung per Video kann nur „augenscheinlich“ erfolgen, insofern scheidet schon alleine deshalb eine höher bewertete Untersuchungsziffer, die zumindest mit einer Palpation verbunden wäre, aus.
BÄK: Eine symptombezogene Untersuchung per Videoübertragung kann nur solche Symptome umfassen, die visuell erfassbar sind. In Abgrenzung zu anderen GOP wie beispielsweise die Nummern 6, 7 und 8 stellt die Abrechnungsempfehlung nur auf die Nummer 5 ab, und zwar im Sinne einer Analogabrechnung. Ob und in wie weit eine symptombezogene Untersuchung per Videoübertragung durchgeführt werden kann, ist nur vom Arzt im Einzelfall zu entscheiden.
Nochmal zur Leistungsbewertung: Für die Anfertigung eines Medikationsplans werden 5,36 Euro (analog zu GOÄ-Nr. 70/2,3–fach) veranschlagt. Das ist nicht wirklich weit von der EBM-Ziffer 01630 entfernt (4,28 Euro), die seinerzeit von vielen als erheblich zu gering dotiert erachtet wurde. Werden die Unterschiede zwischen GOÄ und EBM nicht doch allmählich eingeebnet?
BÄK: Diese Position ist ein Beispiel, dass die GOÄ gerade nicht am EBM orientiert wird. Die Legende der Abrechnungsempfehlung zur analogen Berechnung der Nummer 70 lautet „Erstellung oder Aktualisierung“ und ist also mehrfach berechnungsfähig, während die EBM-Position 01630 „von einem Vertragsarzt im Laufe von vier Quartalen einmalig berechnet werden“ kann, wie es in der Anmerkung heißt.
Stichwort EBM: In der Kassenmedizin ist der Videokontakt auf ein Fünftel der Behandlungsfälle je Arzt und Quartal sowie ein Fünftel der Punktmenge je Arzt und Quartal limitiert. Man will ja schließlich nicht den persönlichen Kontakt vollends durch den digitalen ersetzen. Ist mit der neuen GOÄ eine vergleichbare Begrenzung des Videokontakts auch in der Privatmedizin zu erwarten?
BÄK: Eine solche Regelung ist weder geplant, noch ist sie umsetzbar. Dazu müssten privatärztliche Fälle pro Praxis oder Arzt gezählt werden. Eine solche Zählung scheidet schon aus dem individuellen Vertragsverhältnis zwischen Arzt und Patient in der Privatmedizin aus. Darüber hinaus gibt es in der Privatmedizin keine Institution, wie etwa die Kassenärztliche Vereinigung, die eine zentrale Datenerfassung durchführt. Die Bundesärztekammer wird auch weiterhin jede Bestrebung in dieser Richtung ablehnen.
PVS Südwest: Wir gehen davon aus, dass solche Limitierungen nicht über eine Rechtsverordnung, wie es die GOÄ ist, geregelt würden, sondern allenfalls im Binnenverhältnis zwischen Patient und Versicherung oder Beihilfestelle, was aber mit der Zulässigkeit der häufigeren Abrechnung nach GOÄ nichts zu tun hat, sondern nur die Erstattungsfähigkeit betrifft.
Ein Beispiel: Was könnte ein Privatarzt, der eine 25-minütige Videosprechstunde mit einem chronisch kranken Patienten von 75 Jahren durchführt, dabei eine Untersuchung macht und außerdem vereinbart, ein Rezept auszustellen, nach den neuen Empfehlungen alles berechnen?
PVS Südwest: Nach derzeitiger GOÄ wäre die Ziffer 3 mit maximal 30,60 Euro anzusetzen (möglich wegen der deutlichen Überschreitung der Zeitdauer von mindestens 10 Minuten), zuzüglich die Ziffer 5 analog, visuelle Untersuchung per Video, mit 10,72 Euro. Das ergibt einen Rechnungsbetrag von 41,32 Euro. Die Rezeptausstellung selbst ist nicht abrechenbar mit Ausnahme des Portos bei postalischem Versand. Ein Technikzuschlag , wie im EBM, ist in der GOÄ nicht vorgesehen, auch nicht analog. Insofern weicht diese Abrechnung nicht von derjenigen ab, die zu stellen wäre, wenn der Patient persönlich in der Praxis erscheint und dieselben Leistungen erbracht werden.
Wo stehen die Verhandlungen zur neuen GOÄ? Zuletzt hieß es, die BÄK wolle die Gespräche mit PKV und Beihilfe zur Jahresmitte abgeschlossen haben. Wie sehen die nächsten Schritte aus? Rechnen Sie noch damit, dass die neue GOÄ in dieser Legislaturperiode Rechtskraft erlangt?
BÄK: Die Abstimmungen kommen in der gewohnt konstruktiven Atmosphäre voran. Ob ein gemeinsamer GÖÄ-Entwurf in der laufenden Legislatur Rechtskraft erlangen könnte, müssen die politisch Verantwortlichen gefragt werden.
Und wie verhält es sich mit den Corona-Sonderregelungen (z.B. Hygienepauschale, telefonische Beratung)? Ist angesichts aktuell wieder anziehender Infektionszahlen an eine Verlängerung gedacht?
BÄK: Die Beteiligten evaluieren die aktuelle Entwicklung und die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die privatärztliche Versorgung gemeinsam.