MYHEALTH@EU: VON VISIONEN UND HARTEN FAKTEN
Mit „MyHealth@EU“ steht bereits eine technische Daten-Infrastruktur für die grenzüberschreitende, digitale Patientenversorgung. In Deutschland sollen die notwendigen Kurzakten Teil der elektronischen Patientenakte werden.
Für niedergelassene Haus- wie Fachärzte, aber auch Psychotherapeuten sowie deren Patienten steht ein Paradigmenwechsel in puncto elektronischer Patientenakte (ePA) bevor. Denn diese soll nach dem Willen der Europäischen Kommission zum Herzstück der europaweiten, grenzüberschreitenden Versorgung werden.
Als Vehikel dazu soll die im Mai von der EU-Kommission als Gesetzentwurf an Parlament wie Rat übergebene Verordnung zur Schaffung des Europäischen Gesundheitsdatenraums (European Health Data Space/EHDS) dienen. So weit die Brüsseler Vision.
0,7 Prozent der Bürger haben eine ePA
Zur Einordnung exemplarisch die harten Fakten zur Situation in Deutschland, dem größten EU-Mitgliedsstaat: Wie Dr. Susanne Ozegowski, Leiterin der Abteilung „Digitalisierung und Innovation“ im Bundesgesundheitsministerium, Anfang Oktober in Frankfurt beim eHealth-Kongress Rhein-Main sagte, besitzen aktuell nur etwa 0,7 Prozent der Deutschen eine ePA. Die Kassen bieten den Versicherten offensichtlich die ePA an wie Sauerbier – und das knapp zwei Jahre nach dem offiziellen Ausgabe-Startschuss zum Jahreswechsel 2020/2021.
Ozegowski unterstrich indes die aus Ministeriumssicht zentrale Bedeutung der ePA: „Wir brauchen einen Ort, wo die Gesundheitsdaten liegen.“ Das Ziel sei, dass 80 Prozent der Bürgerinnen und Bürger bis 2025 eine ePA haben – und diese auch nutzen. An der Opt-out-Umsetzung werde daher intensiv gearbeitet.
Das heißt, jeder Bundesbürger erhält automatisch eine ePA, er kann sich aber über Opt-out dagegen entscheiden und die Akte löschen lassen. „Wir müssen uns ambitionierte Ziele setzen, sonst kommen wir nicht weiter“, konzedierte Ozegowski.
Bis 2025 will die Kommission den EHDS realisiert sehen, der die digitalisierte grenzüberschreitende Patientenbehandlung erleichtern soll – gerade im Zuge des EU-Krebsplans mit Blick auf Patienten, deren Versorgung im Heimatland sehr defizitär ist. Ein Grundpfeiler davon: Bisher dort nicht digital verfügbare Daten sollen aufbereitet werden und so Diagnostik, Behandlung, Therapie und eventuell auch Nachsorge im Ausland erleichtern.
Wer die EU nun auf Irrwegen wähnt, da sie aufgrund des Subsidiaritätsprinzips keinerlei Befugnis hat, sich in die Gestaltung der nationalen Gesundheitssysteme einzumischen, dem hilft Andrzej Ryś, Director Health Systems, Medical Products & Innovation bei der Generaldirektion Gesundheit der Europäischen Kommission, auf die Sprünge. Wie Ryś im Gespräch mit der Ärzte Zeitung verdeutlicht, sei der EHDS Bestandteil der EU-Datenstrategie, stelle somit eine Regulierung des Binnenmarktes dar.
Einer der Grundpfeiler der EU ist die Reisefreiheit – auch von erkrankten Menschen. Laut Kommission begaben sich in der jüngeren Vergangenheit pro Jahr Patienten im niedrigen sechsstelligen Bereich zur Behandlung in ein anderes EU-Land.
Wenn Patienten aus der Tschechischen Republik oder Portugal bei einem niedergelassenen Arzt in den Niederlanden vorstellig werden, kann dieser im Idealfall heute schon eine Behandlung gewährleisten, auch wenn es keine gemeinsame Sprache gibt – und zwar, wenn Praxis wie Patient an der eHDSI, der europäischen eHealth-Diensteinfrastruktur, angedockt sind. Für Patienten ist dies daran zu erkennen, dass die Praxis die Kennzeichnung „MyHealth@EU“ trägt.
Bisher nur elf Teilnehmerstaaten
„MyHealth@EU“ gewährleistet den im Zielland patientenseitig konsultierten Ärzten den Zugriff auf die elektronischen Patientenkurzakten (ePKA), in denen wichtige Gesundheitsdaten in der oder den Amtssprache(n) des Landes vorgehalten werden. In Deutschland soll die ePKA in die ePA integriert werden, wie aus gesundheitspolitischen und Health-IT-Branchenkreisen zu hören ist.
Diese Daten können laut EU beispielsweise Allergien, die derzeitige Medikation oder frühere Erkrankungen und Operationen abdecken. So soll der behandelnde Arzt im Zielland des Patienten eine sichere und bessere Gesundheitsversorgung gewährleisten.
Die ePKA ist Teil einer größeren Sammlung von Gesundheitsdaten, der elektronischen Patientenakte, die schrittweise im Wege der grenzüberschreitenden Gesundheitsdienste bereitgestellt wird. Bisher nehmen elf EU-Mitgliedstaaten an MyHealth@EU teil. Ärzte in Deutschland sollen laut Verordnungsentwurf voraussichtlich 2025 so weit sein.
Digitale Gesundheitsbehörden in allen Mitgliedsstaaten
Um sicherzustellen, dass die Rechte der Bürger gewahrt bleiben, müssen alle Mitgliedstaaten digitale Gesundheitsbehörden benennen. Diese Behörden werden sich dann an MyHealth@EU beteiligen, die Patienten beim grenzüberschreitenden Austausch ihrer Daten unterstützen wird. Laut Kommissions-Website werden Dänemark und Rumänien bei MyHealth@EU aber erst einmal außen vor sein.
Die Mitgliedstaaten sollen laut Gesetzentwurf sicherstellen, dass ePKA, elektronische Verschreibungen, Bilddaten und Bildberichte, Laborergebnisse und Entlassberichte in einem gemeinsamen europäischen Format erstellt und akzeptiert werden. Interoperabilität und Sicherheit sollen verbindliche Anforderungen werden. Die Hersteller von Systemen für elektronische Patientenakten müssen die Einhaltung dieser Normen zertifizieren.
Datentransfer nur mit Spezifikation
Die Branche ist darauf sehr wohl schon heute eingestellt. Der Aufwand für die Übertragung alter Bestandsdatensätze auf die ePKA ist dabei nicht pauschal zu taxieren, wie Dr. Erich Gehlen, Vorstandsvorsitzender des genossenschaftlich organisierten Softwarehauses Duria, auf Nachfrage der Ärzte Zeitung hinweist. „Es liegt alleine an einer vorgegebenen Spezifikation, wie die Daten aus den Praxen zur Verfügung gestellt werden müssen. Wir müssen dazu Programme implementieren, die dieser Spezifikation genügen“, verdeutlicht Gehlen.
In den Praxen würden die Daten gemäß der Spezifikation exportiert und bereitgestellt. Auf einem vorgegebenen Weg seien die Daten dann – verschlüsselt und signiert – zu transportieren. Die Qualität des Datenexports hänge davon ab, wie strukturiert die Daten in der lokalen Patientenakte in der Praxis-EDV erfasst und abgelegt worden seien, erklärt Gehlen weiter.
Sofern die Ablage „passt“, können auch „ältere Datensätze“ passend zur ePKA übertragen werden. Wie diese Schnittstellen konkret aussehen, werde sich noch zeigen. Vermutlich werde der Entwicklungsaufwand erheblich sein, um die Daten im geforderten Format bereitzustellen und um die Nutzbarkeit in der ePKA zu gewährleisten, so Gehlens Einschätzung.