Medizinische Betreuung im American Football
Zusammenfassung
Die sportmedizinische Betreuung einer American Football Mannschaft stellt bei internationalen Turnieren immer eine besondere Herausforderung dar. Der logistische Aufwand, knappe Ressourcen, die Gegebenheiten vor Ort und die Mentalität der Gastgeber stellen für die ehrenamtlichen Betreuer mit Improvisationstalent eine Herausforderung dar, lassen sich jedoch gut zu meistern und schweißen ein Team zusammen.
Das prophylaktische Tragen von Orthesen während des Trainings und im Wettkampf scheint, in Verbindung mit Präventionsmaßnahmen zu einer Reduzierung von Verletzungen zu führen.
Entwicklung des American Footballs in Deutschland
Der American Football Verband Deutschland (AFVD) zählt mittlerweile über 60.000 Mitglieder und ist somit der sechstgrößte Sportverband in Deutschland. Zunehmender Beliebtheit erfährt nach einer Stagnationsphase zwischen 2000 - 2007 der Damen- und Jugendbereich, welches sich auch in den Zuwachsraten der Vereine bemerkbar macht. Im Seniorenbereich wird ein organisierter Spielbetrieb in 7 Spielklassen durchgeführt (1). Die Hälfte aller europäischen Footballspieler spielen in Deutschland (2).
Vor 1977 wurde American Football fast ausschließlich in den Amerikanischen Kasernen gespielt, zu denen nur wenige Deutsche Zutritt hatten (2). Die Keimzelle des American Football liegt im Frankfurter Raum. Mit der Gründung der Frankfurter Lions, 1977, entstand der erste American Football Verein in Deutschland (5). Die Mannschaft rekrutierte sich zunächst aus US-Amerikanern, in der Regel Soldaten aus den Militärstützpunkten und wenigen deutschen Spielern. Gespielt wurde gegen Mannschaften anderer Stützpunkte, die in der Regel hoch verloren wurden. Am 1. Mai 1978 wurden dann die Düsseldorf Panther, die in diesem Jahr wieder in das Oberhaus, die German Football League aufgestiegen sind, als zweiter Deutscher Football Verein gegründet.
Rasch gründeten sich mit den München Cowboys (German Football League Süd), den Bremerhaven Seahawks, (Oberliga Niedersachsen) und den Berlin Bären, heute die Berliner Adler (Regionalliga Nordost), neue Vereine. (4)
Um einen geregelten Spielbetrieb aufzunehmen, wurde im März 1979 der American Football Bund Deutschland (AFBD) gegründet. Das erste Endspiel um die Deutsche Meisterschaft fand am 04. August 1979 vor ca. 4000 Zuschauern gegen die Düsseldorf Panther statt (5). Die American Football Szene in Deutschland wurde bis 1982 von den zwei konkurrierenden Verbänden AFV und AFBD bestimmt.
Am 16. Oktober 1982 wurde dann der American Football Verband Deutschland (AFVD) gegründet. Somit konnte ein einheitlicher Spielbetrieb in Deutschland durchgeführt werden. Das erste Spiel einer deutschen American Football Senioren Nationalmannschaft fand im Juli 1981 statt. Das Spiel konnte im italienischen Castell Giorgio gegen die italienische Nationalmannschaft gewonnen werden (7) (8).
Unter dem Dach des AFVD fand dann am 27.09.1987 das erste American Football Damenspiel in Deutschland statt. Der reguläre Spielbetrieb wurde 1990 aufgenommen und die erste deutsche Meisterschaft im Damen American Football fand dann 1992 in Bamberg statt (12).
Anfang der 80iger Jahre entwickelte sich im Jugendbereich ebenfalls ein regulärer Spielbetrieb. Das erste Endspiel fand 1982 zwischen den Jugendmannschaften der Düsseldorf Panther und Cologne Crocodiles im Kölner Südstadion statt. Um den Spielbetrieb zu straffen und eine höhere Leistungsdichte zu schaffen, wurde 2001 die GFL Junior gegründet (10). Mit der Senioren-, Damen-, Junioren-, Cheerleader-, Flag Herren und Flag Damen Nationalmannschaften unterhält der AFVD zurzeit 6 nationale Mannschaften, die im regelmäßigen Spielbetrieb an Europa- und Weltmeisterschaften teilnehmen (8).
Sportmedizinische Betreuung und Fortbildungsangebote
Die Nationalmannschaften des AFVD werden seit ihrer ersten Berufung im Jahr 1981 sportmedizinisch begleitet. Seit 6 Jahren bietet der AFVD, in Kooperation mit der Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädie des Johannes Wesling Klinikum in Minden, Universitätsklinikum der Ruhr-Universität nun schon in der letzten Februar- oder ersten Märzwoche eine sportmedizinische Fortbildung an. Erfreulicher Weise findet seit zwei Jahren in Vorfeld des German Bowl, Endspiel um die Deutsche Meisterschaft, mit der Unterstützung der Firma Sporlastic, ebenfalls ein Sportmedizinisches Symposium statt. Seit März 2019 entwickelt sich darüber hinaus eine Kooperation des AFVD mit der CFL (Canadian Football League), die auch den Bereich der Sportmedizin beinhaltet.
Die sportmedizinische Betreuung der Nationalmannschaften möchte ich nachfolgend exemplarisch an der an der der American Football Junioren Nationalmannschaft darstellen, welche vom 03. Juli 2014 - 18. Juli 2014 an der Weltmeisterschaft in Kuwait teilgenommen hat.
Zunächst war die American Football Junioren Nationalmannschaft nach den Ergebnissen der Junioren Europa Meisterschaft 2013 nicht für die Weltmeisterschaft in Kuwait qualifiziert. Durch die kurzfristige Absage des Vertreters aus Ozeanien Ende Januar 2014, rückte das deutsche Junioren Team jedoch nach. Die Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft in Kuwait erfolgte während der Vorbereitung der Junioren Bundesligisten auf die Spielzeit 2014, sodass für die Weltmeisterschaft nur zwei Sichtungslehrgänge durchgeführt werden konnten. Die Play Offs um die Deutsche Meisterschaft mussten vor den Halbfinalen unterbrochen werden. Ein Teil des festen Trainerstabes konnte aufgrund der kurzfristigen Nominierung nicht an der Maßnahme in Kuwait teilnehmen.
Innerhalb eines Zeitraums von nur 4 Wochen mussten die sportmedizinischen Untersuchungen, die Anti-Doping Belehrung und die Anti-Doping Zertifikate der Nationalen Antidoping Agentur in Deutschland (NADA), sowie die medizinischen Untersuchungsbögen von den Spielern bearbeitet werden. Bei kritischen Fragestellungen zur Spielfähigkeit des Spielers erfolgte die Untersuchung und Beurteilung über das geschaffene Netzwerk der medizinischen Abteilung des American Football Verbandes.
Der medizinische Betreuerstab umfasste 2 Mannschaftsärzte, 2 Physiotherapeuten und 1 Athletiktrainer. Im Vergleich dazu, reiste die amerikanische Nationalmannschaft mit nur 1 Athletiktrainer an, der sich auch um sämtliche medizinische Maßnahmen der Mannschaft kümmern musste.
Die kurze Vorbereitungszeit und die besonderen Rahmenbedingungen in Kuwait stellten den Betreuer- und medizinischen Stab vor eine besondere Herausforderung. Zunächst galt es den Versicherungsstatus der Spieler und Betreuer während der Weltmeisterschaft zu sichern. Die Analyse der Wetterdaten für den Monat Juli zeigten eine beachtliche monatliche Durchschnittstemperatur von 46,7° (11). (siehe Abbildung Wetter)
Im Falle der Verletzung von Spielern standen in Kuwait Stadt zwei Krankenhäuser zur Verfügung, die von ihrer Ausstattung europäisches Spitzenniveau erreichten. Sehr viele der kuwaitischen ärztlichen Kollegen haben in Europa und den USA studiert und genossen eine hervorragende Ausbildung, sodass bei der mehrfachen Inanspruchnahme keine Probleme auftraten.
Die deutsche Delegation umfasste 63 Mitglieder, davon 18 Trainer und Betreuer, die ihre Funktionen ehrenamtlich wahrnahmen. (siehe Abbildung Mannschaftsaufstellung)
Die Anreise nach Kuwait erfolgte am 03. Juli 2014, und die Mannschaft erreichte um 0:30 Uhr das Hotel. Die Außentemperatur betrug 38,3°. Für die Akklimatisierung stand dem deutschen Tross der deutschen Nationalmannschaft drei Tage zur Verfügung. Die erste Trainingseinheit erfolgte mit einem Hitzespaziergang von zwei Stunden. (siehe Abbildung Mannschaftspaziergang)
Besonderes Augenmerk wurde auf den Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt gelegt (6). Zur Vorbereitung auf das Turnier und das erste Spiel standen der Mannschaft fünf Trainingseinheiten zur Verfügung, bei denen Spitzentemperaturen von 50,2° erreicht wurden. Die Gruppenspiele waren jeweils um 20 Uhr und um 23 Uhr angesetzt. Die Pause zwischen den Gruppenspielen betrug zwei Tage. Das erste Gruppenspiel fand am 07.07.2014 gegen Japan statt. Bei einer Außentemperatur von 40,1°, umfasste die Flüssigkeitsaufnahme inkl. Elektrolytausgleich während des Spiels ganze 510 Liter (45 Mann starker Kader).
Nach einer dreitägigen Pause fand dann das zweite Gruppenspiel gegen die USA ebenfalls um 23 Uhr statt, dabei zeigte das Außenthermometer noch beachtliche 39,8°. Der Flüssigkeitsverbrauch reduzierte sich auf 410 Liter. Im letzten Gruppenspiel, nach einer Erholungsphase von drei Tagen, welches gegen Mexiko ausgetragen wurde, reduzierte sich der Flüssigkeitsverbrauch während des Spiels weiter auf 290 Liter.
Nach 2 Tagen Erholungsphase fand dann schließlich das Platzierungsspiel um den 7. Platz gegen Kuwait statt. Dabei reduzierte sich der Flüssigkeitsverbrauch während des Spiels auf 210 Liter. Die erwartete Reduktion der Flüssigkeitsaufnahme entspricht dabei der physiologischen Adaption des Körpers auf eine Hitzeexposition.
Die Herausforderung des Betreuer- und Trainerstabes bestand während des Turnieres darin, die Spieler anzuhalten, ausreichend zu Trinken und im Training soweit möglich, Schattenplätze aufzusuchen. Zur Selbstkontrolle wurden den Spielern Urin-Testkarten ausgegeben. Zusätzlich erfolgte eine Kontrolle des Körpergewichtes vor und nach dem Training.
Eine weitere Herausforderung stellten die Mahlzeiten dar. Der Tross der Mannschaft erreichte nach den Abendspielen gegen 04:00 Uhr morgens das Hotel, so dass wir mit Hilfe einiger mitgereister Eltern ein Abendessen zubereiten mussten.
Nach dem Abendessen erfolgte ein kurzer medizinischer Check der gesamten Mannschaft. An Spieltagen in den Gruppenspielen, die um 23 Uhr stattfanden, wurde eine Bettruhe für 06:00 Uhr morgens festgelegt, und bei dem Gruppenspiel, welches um 20 Uhr stattfand, eine Bettruhe für 02:00 Uhr avisiert.
Täglich wurden von der medizinischen Abteilung der Nationalmannschaft 8 Stunden Behandlungszeit angeboten, an Spieltagen sogar 12 Stunden. Insgesamt wurden 308 Rollen Tape mit einer Gesamtlänge von 2500 Meter, 42 Meter Kinesiotape, 600 Meter Haftwickel, 8 Meter Pflaster, 400 Kompressen und ca. 400 Tabletten verbraucht.
Ein Behandlungsschwerpunkt lag, erwartungsgemäß, in der Behandlung von Magen-Darm-Infekten sowie Infekten der oberen Atemwege. Ein weiterer Behandlungsschwerpunkt fokussierte sich bei der Kontaktsportart auf Prellungen und Stauchungen. Muskuläre Probleme traten unter den klimatischen Bedingungen nicht auf. Am Platzierungsspiel um den 7. Platz gegen Kuwait konnten 39 von 45 Spielern teilnehmen. 2 Spieler fielen aufgrund einer Gehirnerschütterung, 3 Spieler aufgrund einer Kniegelenksverletzung und 1 Spieler aufgrund einer Schulterverletzung aus.
Die präventiven Maßnahmen zeigten Wirkung und so ist erfreulicherweise kein Spieler oder Betreuer aufgrund der extremen klimatischen Bedingungen ausgefallen.
Rolle von Orthesen im American Football
Von den 45 Spielern bei der WM trugen 12 Spieler Sprunggelenkorthesen, 4 Spieler Kniegelenkorthesen und 1 Spieler eine Ellenbogenorthese (z.N. Ellenbogenluxation). Die von den Spielern getragenen Orthesen, bzw. Bandagen wurden während der Try Outs von dem medizinischen Personal des AFVD kontrolliert. Insgesamt mussten wir bei der Überprüfung feststellen, dass die Orthesen bei 70% der Spieler nicht passten.
Das prophylaktische Tragen von Orthesen im Trainings- und Spielbetrieb, sowie in der postoperativen Rehabilitation nach Bandverletzungen wird national und international kontrovers diskutiert (13) (14) (15) (16) (17). Der psychologische Faktor, der dem Spieler durch das Tragen der Orthesen ein Gefühl der besseren Stabilität und des Schutzes gibt, darf aber nicht unterschätzt werden.
Es gibt sehr viele High-Schools, Universitäten und Profimannschaften, die bereits im Trainingsbetrieb präventiv tapen oder ihre Spieler mit Orthesen ausrüsten. Besonders gefährdet sind im American Football die Spieler in der Offense oder defense Line, die entweder den Quaterback schützen, oder versuchen den Quaterback oder Ballträger daran zu hindern, Raumgewinn zu erzielen. Bei engstem Raum versuchen die schwergewichtigen Spieler mit einem Körpergewicht von bis zu 140 kg die Kontrolle über das Spielgeschehen zu erlangen, stürzen hierbei häufig zu Boden und fallen in das Knie – oder Sprunggelenk des eigenen oder gegnerischen Spielers. Hier hat sich das Tragen einer Orthese bewährt. Grundvoraussetzung ist aber, dass die Kniegelenksorthese an die anatomischen Maße des Spielers angepasst wird und während des Trainingsbetriebes oder des Spieles nicht verrutscht. Außerdem muss gewährleistet sein, dass die Orthese aufgrund Ihren Beschaffenheit kein Gefährdungspotential für Mitspieler oder gegnerische Spieler darstellt.
Die Spieler, die eine Orthese tragen, werden in Deutschland und bei internationalen Turnieren von den Schiedsrichtern kontrolliert. In Deutschland herrscht hier ein sehr uneinheitliches Bild. Von Seiten des Verbandes gibt es hier keine Vorgaben. Die Versorgung mit Orthesen erfolgt in der Regel über die Hausärzte oder niedergelassenen Unfallchirurgen oder Orthopäden. Nur wenige Vereine aus der German Football League verfügen über einen Ausrüstervertrag.
In den bisher durchgeführten und auch den angekündigten Studien, bezüglich des Tragens von Orthesen im Trainings- und Spielbetrieb zeichnet sich ein „Pro-Orthesen-Bild“ ab. Vor allem dann, wenn das Tragen von Orthesen mit entsprechenden Präventionsmaßnahmen verbunden wird.
Literaturverzeichnis
- AFVD.de
- Bestandserhebung des Deutschen Olympischen Sportverbandes 2017.
- Bowy E, Knitter W, Rosenstein M. American Football. …vom Kick-off zum Touchdown. 2. Auflage. Weinmann, Berlin 1990: 33.
- Bowy E, Knitter W, Rosenstein M. American Football. …vom Kick-off zum Touchdown. 2. Auflage. Weinmann, Berlin 1990: 34.
- Bowy E, Knitter W, Rosenstein M. American Football. …vom Kick-off zum Touchdown. 2. Auflage. Weinmann, Berlin 1990: 37.
- Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention (DGSP), Hitzeerkrankung im Sport“ 2013.
- Footballgeschichte Europas; 08.10.2007.
- Geschichteder American Football Nationalmannschaften, Archiv AFVD.de.
- Geschichte der Commerzbank Arena; 30.09.2009.
- GFL Junior, Archiv AFVD.de.
- Kuwait Meteorological Service.
- Ladiesbowl 1986 bis 1989, Archiv AFVD.de.
- Kaplan Y et al. Knee Surg Sport Traumatol Arthroscopy, 24 June 2016: Injuries can prevented in contact flag football.
- Lundblad M et al. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc, 4 April 2019: Medical collateral ligament injuries of the knee in male football players: A prospective three season study of 130 cases from the UEFA elite Club Injury Study.
- McCarty EC et al. Am J Orthop (Belle Mead NJ), Sep/Oct. 2016: Historical Patterns and Variation in Treatment of Injuries in NFL (National Football League) Players and NCAA (National Collegiate Athletic Association) Division I Football Players.
- Mc Guine TA et al. Am Sports med, Jan 2012; 40(1): 49-57: The effect of lace up ankle braces on injury rates in high school football players.
- Pietrosimone BG et al. J Athl Train 2008: A systematic review of prophylactic braces in the prevention of knee ligament injuries in collegiate football players.