IDEENSCHMIEDE DES GESUNDHEITSWESENS: SO WIRKT DER INNOVATIONSFONDS
200 Millionen Euro pro Jahr fließen in den Innovationsfonds. Beim Transfer in die Regelversorgung kränkelt das Fördersystem aber. Doch es gibt Strategien, wie Projekte häufiger in der Versorgung ankommen könnten.
Besser als sein Ruf oder Millionen-Grab? Der Innovationsfonds und die Erfolge beziehungsweise Misserfolge seiner Projekte, stoßen auf ein geteiltes Echo. Vielen Projekten fehlt nach ihrem Abschluss und Durchsicht der Projekte und ihrer Ergebnisse der Segen des Innovationsausschusses, sprich: der Zugang zur Regelversorgung. Auch bei der Kommunikation der Ergebnisse hapert es. Und vieles dauert. Welche Zukunft hat der Fonds?
Rückblick: Im Rahmen des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes aus dem Jahr 2016 hatte der Bundestag mit der gesetzlichen Grundlage für den Innovationsfonds den Akteuren des Gesundheitssystems die Möglichkeit eröffnet, auf ihrem Arbeitsfeld zu experimentieren und zu neuen Versorgungsformen zu forschen. Quer zu den Sektoren und über die bisherige Regelversorgung hinaus. Bis Dezember 2022 wurden genau 543 Projekte der Versorgungsforschung und neuer Versorgungsformen gefördert.
Innovationsfonds: Ist das Geld gut angelegt?
Bezahlt wurde und wird das Ganze je zur Hälfte von der gesetzlichen Krankenversicherung und aus dem Gesundheitsfonds – von 2016 bis 2019 waren 300 Millionen Euro jährlich vorgesehen und von 2020 bis 2024 sind es 200 Millionen Euro im Jahr. Bis Dezember 2022 wurden nach Auskunft des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) mit diesem Geld 178 Projekte zu neuen Versorgungsformen gefördert und 365 Projekte der Versorgungsforschung. Für Letztere flossen rund 404 Millionen Euro, für die neuen Versorgungsformen rund 926 Millionen Euro.
„Ja“, meint Professor Volker Amelung, Gesundheitssystemforscher von der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), auf die Frage, ob das Geld gut angelegt sei, und zwar auch diesseits einer Empfehlung oder gar Übernahme in die Regelversorgung. Allein der Umstand, dass die bisherigen Fressfeinde des Gesundheitssystems im Rahmen vieler Projekte als Konsortialpartner auftreten und eine „Beutegemeinschaft“ bilden, sei Grund genug, den Innovationsfonds positiv zu bewerten. „Da stellen zum Beispiel KVen, Kliniken, Kassen und wissenschaftliche Institute gemeinsam Anträge an den Innovationsausschuss“, staunt Amelung. Und das, obwohl alle Beteiligten lernen mussten: Wenn man mit irgendwas kein Geld verdienen kann, dann mit den meisten Projekten des Innovationsfonds, so Amelung.
Ich freue mich sehr, dass der abschließende Evaluationsbericht ein so positives Gesamtfazit zieht und empfiehlt, den Innovationsfonds dauerhaft als Förderinstrument beizubehalten.
Professor Josef Hecken, Unparteiischer G-BA-Vorsitzender
Ein Gutachten, das das Bundesgesundheitsministerium (BMG) bereits im vergangenen Frühjahr von der Prognos AG für die Jahre 2019 bis 2021 hat anfertigen lassen, kommt ebenfalls zu einem positiven Schluss: Das Milliarden-schwere Programm ist es wert, fortgeführt zu werden. G-BA-Chef Professor Josef Hecken zog seinerzeit denn auch ein rundheraus positives Resümee: „Ich freue mich sehr, dass der abschließende Evaluationsbericht ein so positives Gesamtfazit zieht und empfiehlt, den Innovationsfonds dauerhaft als Förderinstrument beizubehalten. (…) Es zeigt, dass wir den richtigen Weg eingeschlagen haben.“
Woran es bei den Innovationsfonds-Projekten hapert
Allerdings gibt es bei aller Zustimmung auch Kritik, die auch das Prognos-Gutachten nicht verschweigt: Die Anträge zu kompliziert, die Wartezeiten zu lang, die Kommunikation der Ergebnisse fehlt oft. Und – wie gesagt – nur die wenigsten Projekte schaffen es in die Regelversorgung.
Tatsächlich haben mit Stand zum 30. August vergangenen Jahres von den abgeschlossenen Projekten der neuen Versorgungsformen nur 35 Prozent eine positive Bewertung erhalten, beziehungsweise eine Überführungsempfehlung in die Regelversorgung oder eine Weitergabe zur Prüfung. Zum Beispiel an den G-BA oder an Ministerien der Länder oder des Bundes. 53 Prozent der abgeschlossenen Projekte hingegen erhielten keine Empfehlung, bei 12 Prozent reichte es gerade mal zur Kenntnisnahme.
Die Anträge zu kompliziert, die Wartezeiten zu lang, die Kommunikation der Ergebnisse fehlt oft.
Prognos-Gutachten zur Arbeit des Innovationsfonds
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei den Projekten der Versorgungsforschung (VSF). Hier erhielten 52 Prozent keine Empfehlung, 26 Prozent der abgeschlossenen Forschungsvorhaben wurde eine Prüfung beziehungsweise Überführung empfohlen, und 18 Prozent wurden nur zur Kenntnis genommen.
„Projekte, die nicht durchkommen – na, und?“
Die Autoren des Prognos-Gutachtens sehen nicht unbedingt etwa schlecht gemachte Studien oder Forschungsvorhaben, sondern fordern in diesem Zusammenhang eher ein „strukturiertes Verfahren für den Prozess des Transfers in die Regelversorgung“. Schließlich sei die Güte der Projekte an den Transfererfolgen zu messen, erklärten die Autoren.
Das sieht Versorgungsforscher Amelung ganz anders. Er ist als Geschäftsführer des Berliner Instituts für angewandte Versorgungsforschung (inav) an mehreren IF-Projekten beteiligt. Er hat nichts gegen strukturierte Verfahren, aber er argumentiert aus der Sicht des Wissenschaftlers, der auch aus Pleiten lernen will. „Projekte, die nicht durchkommen – na, und?“, kommentiert er lapidar. „Fast wäre es mir lieber gewesen, wenn noch weniger Versorgungsprojekte durchgekommen wären. Das hätte dokumentiert, wie risikofreudig man unterwegs gewesen ist.“
Er kenne kein Fonds-Projekt, aus dem man nichts hat lernen können. „Wir haben zum Beispiel die Erfahrung gemacht, dass Videosprechstunden sich ganz schlecht umsetzen lassen. Denn es ist schwer, die ambulanten Versorger mit ins Boot zu holen. Sie sind super organisierte Versorgungseinheiten, die aber bis zum Anschlag ausgelastet sind“, sagt Amelung. „Klar, sie sind offen für Fonds-Projekte, aber sie haben kaum Kapazitäten. Mit dieser Erkenntnis im Rücken kann man besser einschätzen, was man umsetzen kann und was nicht.“
Zwei Jahre Warten auf den Start der Projekte
Neue Erfahrungen machen und neu entwickeln – so funktioniere Forschung. Amelung hat denn auch keinen Zweifel daran, dass der Innovationsfonds ein Erfolgsmodell ist. Allerdings fordert er mehr Verve ein, um die Chancen des Fonds auch zu nutzen.
Auch die Wartezeiten, zum Beispiel von der Idee bis zur Umsetzung, dürften kürzer sein. Nach der neuen Welle der Ausschreibung am 2. März für die neuen Versorgungsformen werde der erste Patient erst zum vierten Quartal 2024 eingeschrieben, bedauert Amelung. „Man braucht also zwei Jahre bis zum ersten Patienten, das ist zu lang.“ Kleinere Projekte könnten ein Ende des langen Wartens bedeuten.
Selbst wenn das Projekt abgeschlossen ist, evaluiert wurde und eine Empfehlung hat, sind offenbar noch oft dicke Bretter zu bohren, bis es zeigen darf, was es kann. So zu sehen bei dem Forschungs-Projekt „KOL-OPT – Fehlversorgung bzgl. Kontrollkoloskopie in Deutschland“, das Professorin Ulrike Haug vom Bremer Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie (BIPS) durchgeführt hat.
Transfer in die Regelversorgung – und nichts ist passiert
Der Innovationsausschuss hat danach eine Transfer-Empfehlung unter anderem an die Kassen, die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) und den G-BA abgegeben. Das war vor über einem Jahr. Seither ist nichts weiter passiert.
Einen Folgeantrag an den Innovationsausschuss, auf ein Projekt, das sich mit der Implementierung der Erkenntnisse aus KOL-OPT kümmern sollte, hat der Ausschuss abgelehnt. Für Haug schwer zu verstehen: „Dieses Folgeprojekt hätte ich für eines der wichtigsten gehalten, die ich jemals beantragt habe“, sagt sie. „Die Kassen waren bei KOL-OPT dabei und haben unsere Lösungsansätze voll unterstützt! Es ist nicht logisch, wenn man die Versorgung verbessern will, aber dann mittendrin aufhört.“
Wie Fonds-Projekte versorgungswirksamer werden
So gibt es eine ganze Reihe von Vorschlägen, um dem Fonds den Gürtel zu lockern: Um das Antragsverfahren effektiver zu machen, empfiehlt Professor Reinhard Busse von der Berlin School of Public Health an der Charité den Antragstellern unter anderem, die Projektbeschreibungen sorgfältiger zu gestalten.
Amelung rät unter anderem, mehr über die Ergebnisse zu reden. „Es gibt zum Beispiel 30 Projekte zu Lotsenkonzepten in der Versorgung“, sagt er. „Da müsste man sich zusammensetzen und schauen – was hat geklappt und was nicht?“ Außerdem sei ein jährlicher Report wichtig. Er könnte die Projekte nachverfolgen und dokumentieren, was aus den Empfehlungen geworden ist.
Auch das Prognos-Gutachten empfiehlt unter anderem ein besseres Wissensmanagement und eine „systematische Nachverfolgung der ausgesprochenen Empfehlungen.“ Und warum nicht auch Projekte quer zu den Sozialgesetzbüchern erlauben? „Bisher können wir ja nur SGB V-Projekte machen“, so Amelung, ein Vorschlag, den auch das Prognos-Gutachten macht. Die sektoren- und berufsübergreifenden Ansätze sollen so gestärkt werden.
Auch die Finanzierung könnte flexibler gestaltet werden, meint der Hannoveraner Forscher. „Es wäre doch hilfreich, wenn die Projektnehmer fünf Prozent der Fördersumme eigenmächtig umwidmen dürften.“
Apropos Geld – die Kassen treten auf die Bremse: „Aus unserer Sicht erscheint eine Absenkung der Fördersumme sinnvoll, um den Schwerpunkt stärker auf die Auswertung beendeter Projekte und die Begleitung laufender Projekte zu legen“, teilt der GKV Spitzenverband auf Anfrage mit. Das Budget sollte nach Ansicht des Verbandes um 50 Millionen Euro gesenkt und der Förderbereich Versorgungsforschung „gekürzt oder ganz gestrichen“ werden, „weil dieser keine GKV-Aufgabe, sondern eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist.“ Sie falle vielmehr in die Zuständigkeit der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften und wäre aus Steuermitteln zu finanzieren.
Kassen: Qualität der Fondsprojekte nicht final bewertbar
Auch beurteilen die Kassen die Ergebnisse der Fondsprojekte deutlich zurückhaltender als etwa das Prognos-Gutachten. Ihre Qualität sei „noch nicht abschließend bewertbar“, so der GKV-Spitzenverband. Auch der Transfer in die Regelversorgung sei „häufig unstrukturiert beziehungsweise unklar“ gewesen, weshalb der Verband eine „vertiefte Gesamtevaluation“ fordert, die auch über eine Fortführung des Fonds entscheiden soll. Hier ist dem Verband eine Fortsetzung lieber als eine Entfristung. Den im Koalitionsvertrag angekündigten verbindlicheren Pfad zur Überführung von Fondsprojekten in die Regelversorgung lehnen die Kassen denn auch ab.
Man kann verstehen, dass die Kassen verschnupft sind, wenn sie die Rechnung präsentiert bekommen, erläutert Amelung. So hätten sie mit dem Gesundheitskiosk „ein super Projekt auf die Beine gestellt. Und das Ergebnis war dann, dass die Politik mit einem Eckpunktepapier kam, wo drinsteht: ‚Wir hätten gerne 1.000 Kioske im Land – und ihr zahlt 75 Prozent‘.“
Trotzdem sei das Konstrukt gut, meint Amelung. „Denn wenn heute noch Krankenkassen bei einem Projekt mitmachen, dann sagen die ihnen von vorneherein: ‚Wenn wir das nicht gerechnet kriegen, sind wir nicht dabei!‘“