GKV-FINANZEN AB 2023 GESUNDHEITSÖKONOM: MIT KOMBI-PAKET GEGEN DAS GKV-FINANZIERUNGSLOCH
Sollen die GKV-Finanzen nicht aus dem Ruder laufen, muss die Ampelkoalition mit einem Instrumentenkasten gegensteuern. Der Gesundheitsökonom Jürgen Wasem skizziert die Regelungsoptionen.
Berlin/Essen. Die Ampel-Koalition muss die GKV-Finanzen rasch auf die Agenda setzen – sonst droht 2023 ein Beitragsschock. Nötig ist dabei eine „Kombinationsstrategie“, erläutert der an der Uni Duisburg-Essen lehrende Gesundheitsökonom Professor Jürgen Wasem.
Angezeigt sei es, den Sonder-Bundeszuschuss zur GKV – aktuell sind es rund 28 Milliarden Euro – fortbestehen zu lassen, die Zusatzbeiträge „mäßig“ zu erhöhen sowie Kostendämpfungsmaßnahmen durchzusetzen, heißt es in einem Papier Wasems, das der „Ärzte Zeitung“ vorliegt. Zugleich müsse die Koalition strukturelle Reformen anschieben, doch die ersetzten nicht den kurzfristigen Handlungsbedarf, heißt es darin.
Der Gesundheitsökonom geht in einer Szenario-Berechnung bis 2027 von konservativen Annahmen aus: Danach nehmen die beitragspflichtigen Einnahmen bis dahin um drei Prozent pro Jahr zu, die Ausgaben um vier Prozent. In fünf Jahren hat sich die finanzielle Unterdeckung der GKV auf 75 Milliarden Euro aufaddiert. Was also tun?
Immer mehr Milliarden vom Staat?
Springt der Staat in Gänze ein, dann müsste der Sonder-Bundeszuschuss von aktuell 14 Milliarden Euro (zusätzlich zum gesetzlich verbrieften Zuschuss von aktuell 14,5 Milliarden Euro) sukzessive steigen: von 20 Milliarden (2023) über 28 Milliarden (2025) bis hin zu 37 Milliarden Euro (2027).
Gibt sich Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) dagegen knauserig, wären – so das andere Extremszenario – die GKV-Mitglieder gefordert: Ihre durchschnittlichen Zusatzbeiträge müssten von aktuell 1,3 Prozent auf 2,5 (2023), 2,9 (2025) bis auf 3,3 Prozent steigen (2027).
Ein anderes – theoretisches – Szenario, das Wasem durchgerechnet hat: Müsste Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) das gesamte auflaufende Finanzierungsdelta mit dem Instrumentenkasten der Kostendämpfung auffangen, hätte er viel zu tun: Schon 2023 müssten so 19 Milliarden kompensiert werden – eine Summe, die bis 2027 auf 35 Milliarden Euro steigen müsste.
Kostendämpfung beim Versicherten? Zuletzt 2003
Seit 2003 musste keine Bundesregierung mehr Kostendämpfung bei den GKV-Versicherten angehen: Auf der Liste der „Grausamkeiten“ standen damals (erhöhte) Zuzahlungen und Leistungsaus- oder -begrenzungen. Als großer Vorteil gilt, dass diese höchst unpopulären Schritte unmittelbar finanzwirksam werden und gut prognostizierbar sind.
Ebenfalls kurzfristig wirksam sind Einsparungen bei Leistungserbringern. Praxiserfahrungen haben frühere Regierungen gesammelt mit Zwangsrabatten für Pharmaunternehmen oder Wachstumsdeckeln für die Gesamtvergütungen der Vertragsärzte oder bei Krankenhausbudgets. Insgesamt müsste der in den vergangenen Jahren zunehmend laxere Umgang mit dem Grundsatz der Beitragsstabilität wieder auf scharf geschaltet werden. Nachteil vieler dieser Maßnahmen, so Wasem: Sie wirken tendenziell strukturkonservativ.
Mehrere Optionen scheitern an der FDP
Bei Finanzierungsreformen geht die Ampel-Koalition mit selbstangelegten Handschellen in die Zukunft: die Bürgerversicherung oder das Drehen an der Versicherungspflichtgrenze dürften ebenso an einem Veto der FDP scheitern wie die Beteiligung der PKV-Versicherten am Risikostrukturausgleich. Und nur die Beitragsbasis neu zu justieren – sei es durch eine veränderte Bemessungsgrenze oder durch eine Verbeitragung von Kapitaleinkünften – nennt Wasem „isoliert kontraproduktiv“.
Im Ergebnis, so der Gesundheitsökonom, wird sich die Ampel rasch auf ein Gesamtpaket einigen müssen, das alles zugleich enthält: ein dauerhaft stärkeres finanzielles Engagement des Bundes, höhere Zusatzbeiträge und Einsparungen.