GESUNDHEITSHANDWERK MAHNT: QUALITÄT MUSS VOR KRISE UND RENDITE GEHEN!
Augenoptiker, Hörakustiker, Orthopädie(schuh)- und Zahntechniker fordern von der Ampel bessere Rahmenbedingungen für die Versorgung. Auf dem Kieker haben sie besonders Zahn-MVZ und deren Labore.
Berlin. Angesichts der dramatisch gestiegenen Kosten für Energie, Einkauf und Transport ist nach Ansicht der Bundesinnung der Hörakustiker (biha) jetzt der Zeitpunkt, um wohnortnahe und flächendeckende Versorgungsstrukturen zu sichern. Das postulierte biha-Präsidentin Marianne Frickel jetzt bei einem Parlamentarischen Abend in Berlin.
Im Schulterschluss mit dem Zentralverband der Augenoptiker und Optometristen, dem Zentralverband Orthopädieschuhtechnik, dem Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik sowie dem Verband Deutsche Zahntechnikerinnungen präsentierten die Hörgeräteakustiker als Arbeitsgemeinschaft der Gesundheitshandwerke ein gesundheitspolitisches Positionspapier, das nicht nur die Folgen der gegenwärtigen Weltkrisen adressiert.
Ausgewählte Forderungen im Überblick:
„‚Praxislabore‘ in zahnärztlichen Medizinischen Versorgungszentren (Z-MVZ) evaluieren“: Die Zahntechniker befeuern die eh schon hitzig geführte Debatte um Investoren-MVZ, die vor allem bei Zahn-MVZ anzutreffen sind. Sie wittern „eine Wettbewerbsverzerrung zwischen den Z-MVZ und gewerblichen Dentallaboren, die die Existenz des spezialisierten Zahntechniker-Handwerks im regionalen Raum gefährdet.“ Hintergund: Die Herstellung von Zahnersatz ist eine gefahrengeneigte handwerkliche Tätigkeit. Hierfür stehen spezialisierte Meisterbetriebe.Ein niedergelassener Zahnarzt darf in seiner eigenen Praxis ein Labor nur unter engen Voraussetzungen betreiben, und zwar im Fall von persönlich dem Zahnarzt und dessen Patientinnen und Patienten zurechenbarer Herstellung unter engmaschiger Anleitung und Überwachung im Herstellungsverfahren. Knackpunkt aus Sicht der Zahntechniker: „Z-MVZ erfüllen diese Kriterien in der Regel nicht, denn gerade in Z-MVZ mit mehreren angestellten Zahnärztinnen und Zahnärzten sind die arbeitsorganisatorischen Voraussetzungen hierfür nicht gegeben.“ Die Folge: „Rendite- und investorenorientierte Z-MVZ, die ohne Kontrollrisiko die berufsrechtlich engen Grenzen für ein Praxislabor überschreiten, sind ein idealer Nährborden für die Gefahren einer gewinn- statt bedarfsorientierten Zahnersatzversorgung. Das sogenannte ‚Praxislabor‘ des Zahnarztes muss konkretisiert werden.Es braucht zudem ein Transparenzregister für Hersteller von Zahnersatz.“ Mit im Boot haben die Zahntechniker augenscheinlich auch die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV), die jüngst wieder bekundet hat, Gesundheit zum Renditeobjekt eines Geschäftsmodells zu machen, wie dies bei Hedgefonds und Großinvestoren vielfach der Fall sei, zerstöre das patientenorientierte Versorgungsmodell unseres Gesundheitssystems unwiderruflich.
Reduzierter Mehrwertsteuersatz auf Medizinprodukte: Die Gesundheitshandwerke fordern eine Vereinheitlichung der Mehrwertsteuersätze für Medizinprodukte auf sieben Prozent. Es gebe keine Rechtfertigung dafür, Hilfsmittel unterschiedlichen Umsatzsteuersätzen zu unterwerfen. Sie schließen sich damit dem Bundesverband Medizintechnologie (BVMed) an, der jüngst in Berlin ein abgestimmtes Maßnahmenpaket der Bundesregierung zur Stärkung des Medizintechnik-Standorts Deutschland gefordert hat – die reduzierte Mehrwertsteuer steht mit auf dem Wunschzettel der Branche.
Kostenkompensation: Die Gesundheitshandwerke benötigen nach eigener Aussage einen Finanzausgleich für krisenbedingte Mehrkosten, „um gerade auch die wohnortnahen und betrieblichen Versorgungsstrukturen zu sichern. Es darf nicht sein, dass sich die gesetzlichen Krankenkassen aus der Verantwortung ziehen, so wie sie den Gesundheitshandwerken die Hygienekosten während der Pandemie nahezu nicht bezahlt haben.“
Stärkere Einbindung in die Versorgung: In diesem Punkt schießen die gesundheitshandwerker scharf gegen Ärzte: „Die Gesundheitshandwerke erwarten eine Veränderung des Verordnungsmonopols der Ärzteschaft.“ Im Zuge des Demografie- und des räumlichenStrukturwandels werde es immer wichtiger, die Gesundheitshandwerke in die Sicherstellung der Versorgung weitergehend einzubinden. Die Gesundheitshandwerke dürfen schon heute auf der Grundlage des Handwerksrechts eigenverantwortlich Versorgungen mit Hilfsmitteln durchführen, so beispielsweise im Bereich der Seh- und Hörhilfen. „Dies muss sich zukünftig stärker im System der Gesetzlichen Krankenkassen niederschlagen“, lautet das Postulat.
Ordnungsruf für die Krankenkassen: Die Gesundheitshandwerke fordern „faire Vertragsverhandlungen mit den Krankenkassen. Diese dürfen sich nicht weiterhin mit ihrer Verhandlungsmacht ordentlichen Verhandlungen entziehen und sich auf kosten- und zeitintensive Schiedsverfahren zurückziehen. Auf Ebene der maßgeblichen Spitzenverbände bzw. der maßgeblichen Zusammenschlüsse von Leistungserbringern ausgehandelte Verträge sollten prinzipiell als Leitverträge für eine flächendeckende und wohnortnahe Versorgung fungieren.“ Dazugehöre auch, dass sich die Krankenkassen mit der Versorgungsrealität in den Bereichen Hilfsmittel und Zahnersatz auseinandersetzten und von „unverhältnismäßigen Forderungen an Leistungserbringer in Vertragsverhandlungen absehen.“
Fester Sitz im G-BA: Die Gesundheitshandwerke streben nach einem festen Sitz im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA). Letztendlich seien sie von den Beschlüssen des G-BA unmittelbar betroffen. „Unsere Fachkompetenz sollte bei den Beratungen einen höheren Stellenwert erhalten“, heißt es im Positionspapier.
Telematikinfrastruktur und E-Rezept: Die Arbeitsgemeinschaft reklamiert für sich eine zuverlässige Einbindung in die Telematikinfrastruktur. Dies umfasse auch die Lese- und Schreibrechte für die elektronische Patientenakte (ePA). Bei der später anstehenden Einführung des E-Rezepts im Hilfsmittelbereich – zunächst ist noch das Muster 16 zu verwenden – „ist zu beachten, dass Apotheken und Gesundheitshandwerke unter fairen Wettbewerbsbedingungen erst ab der gleichen gesetzlichen Frist Versorgungen über das E-Rezept vornehmen können“, mahnen die Gesundheitshandwerker.