GESETZGEBER WILL RECHTE VON ÄRZTEN GEGENÜBER PRAXISSOFTWARE-HERSTELLERN STÄRKEN
Nicht nur die Arbeitsbedingungen in der Pflege hat Minister Lauterbach mit seinem neuen Referentenentwurf im Blick. Auch in Sachen Digitalisierung gibt es einiges zu regeln, unter anderem Korrekturen von Fristen und eine wirksame Öffnung der Praxisverwaltungssoftware.
Berlin. Die E-Health-Strategie der Bundesregierung wird derzeit noch ausgebrütet, aber der Regelungsbedarf in Sachen Digitalisierung ist so hoch, dass im Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) zum Gesetz zur Pflegepersonalbemessung im Krankenhaus Huckepack auch ein umfangreicher Teil zu DiGA, Praxis-EDV und Telematikinfrastruktur mit erheblicher Praxisrelevanz enthalten ist.
Ein Teil der geplanten Gesetzesänderungen im Fünften Sozialgesetzbuch (SGB V), die der Ärzte Zeitung vorliegen, ist auch durch die Verzögerungen im Fahrplan zur Weiterentwicklung der Telematikinfrastruktur bedingt. Die Änderungen im Einzelnen:
Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA): Für die zugelassenen Gesundheits-Apps, die auf Kassenrezept verordnet werden können, soll das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) nun erst zum 31. Dezember dieses Jahres Datenschutzanforderungen an DiGA vorlegen. Dabei geht es im Einvernehmen mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und im Benehmen mit dem Bundesdatenschutzbeauftragten vor. Die Frist ist damit um ein Jahr verlängert worden – die normative Kraft des Faktischen wäre damit im Gesetz angekommen, wenn der Entwurf so beschlossen wird. Die Prüfverfahren und der Nachweis, dass die DiGA die Anforderungen erfüllen, werden auch jeweils um ein Jahr nach hinten verschoben. Bis Ende 2023 sollen DiGA-Hersteller jetzt nachweisen müssen, dass sie die Anforderungen erfüllen.
Informationspflichten der Krankenkassen: Die Krankenkassen werden dazu verpflichtet, Versicherte, die eine Gesundheitskarte mit kontaktloser Schnittstelle erhalten haben oder bekommen, darüber zu informieren, dass sie eine PIN zu dieser Karte beantragen können, wie sie diese PIN beantragen und was sie damit machen können. Dadurch soll der Nutzen der Karten mit der sogenannten Near Field Communication (NFC) transparenter gemacht werden, heißt es dazu in der Begründung. Denn mit der NFC samt PIN können Anwendungen wie elektronischer Medikationsplan, E-Rezept und E-Patientenkurzakte von Versicherten genutzt werden.
Erweiterung des Stammdatenabgleichs in der Praxis: Die Fristen für die Erweiterung des Online-Stammdatenabgleichs in der Praxis, etwa zu Wahltarifen oder zu zusätzlichen Vertragsverhältnissen des Versicherten, sind weit nach hinten verlegt worden – auf Ende 2025 statt Ende 2022. Auch hier schlägt die normative Kraft des Faktischen den Wunsch des Gesetzgebers vor einigen Jahren.
Interoperabilität der Primärsysteme mit TI-Anwendungen: Mit dem neuen Paragrafen 332a SGB V nimmt der Gesetzgeber die Tendenz zur Beschränkung von Anbietern von TI-Diensten auf bestimmte Anwender, die mit bestimmten Praxisverwaltungssystemen arbeiten aufs Korn. Diese Tendenz hat sich zum Beispiel bei KIM-Diensten und auch bei Anbietern von Konnektoren klar gezeigt, die trotz der Interoperabilitätsvorgaben der gematik, in der Regel bevorzugt Anwender aus dem eigenen Software-Universum bedienen. Der Wettbewerb ist dadurch eingeschränkt. Laut Gesetzentwurf sollen nun die Anbieter und Hersteller von IT-Systemen bis ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes unter anderem für die vertragsärztliche Versorgung „die diskriminierungsfreie Einbindung aller Komponenten und Dienste, die von der Gesellschaft für Telematik zugelassen sind“, sicherstellen. Diese Einbindung soll für die Anwender ohne direkte oder indirekte Zusatzkosten erfolgen. Da manche Anbieter diese grundsätzliche Offenheit gegenüber den TI-Herstellern bereits jetzt praktizierten, sei dieses Vorgehen des Gesetzgebers „keine unverhältnismäßige Belastung“ der Hersteller.
Rahmenvereinbarungen zwischen KBV und Softwareherstellern: Recht unscheinbar daher kommt der neue Paragraf 332b SGB V. „Die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen können für die an der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer verbindliche Rahmenvorgaben mit einzelnen Anbietern und Herstellern informationstechnischer Systeme vereinbaren“, heißt es wörtlich. Doch die Begründung hat es in sich: „Die erschwerten Möglichkeiten für die Leistungserbringer, ihr Primärsystem zu wechseln, stellen in der Praxis ein nicht unerhebliches Implementierungshindernis für die Anwendungen und Dienste der Telematikinfrastruktur dar“, heißt es dort.
Dies führe zu nicht hinnehmbaren Verzögerungen bei der digitalen Transformation. Über die Rahmenvereinbarungen sollen demnach die Interessen der Leistungserbringer zentral gebündelt werden, um so eine „ausgewogene Vertragsgestaltung“ zu erreichen. Unter dem Strich will der Gesetzgeber den Wechsel des Primärsystems erleichtern, falls ein Anbieter die Vorgaben der Digitalisierung nicht erfüllen sollte. Dass die Daumenschrauben für Primärsystemanbieter angezogen werden, zeigt auch der neue Paragraf 332c: Er könnte Anwendern, falls der IT-Hersteller technische Anforderungen der TI nicht rechtzeitig erfüllt, die Handhabe geben, eine Änderung des Vertrags zu verlangen.
Änderung der Erklärung zur Organ- und Gewebespende: Bis Juni 2022 sollte es Versicherten ermöglicht werden, ihre Organ- und Gewebespenden-Erklärung via Smartphone, Tablet oder ePA-App anzupassen. Da das Organspenderegister aber noch gar nicht fertig ist, ist diese Frist jetzt verlängert worden – auf sechs Monate nach Inbetriebnahme des Registers.
Elektronische Patientenakte: Als neue Anforderungen an die elektronische Patientenakte formuliert der Gesetzentwurf, dass ab 1. Juli 2023 Versicherte ihre Daten zu Forschungszwecken zur Verfügung stellen können. Ab 1. Januar 2024 sollen Daten für die pflegerische Versorgung in der ePA zur Verfügung gestellt werden können. Die Möglichkeit der Nutzung eines Sofortnachrichtendienstes für Versicherte zur Kommunikation mit Leistungserbringern und Krankenkassen wird auf den 1. August 2024 gelegt.
E-Rezept für BtM- und T-Rezepte: Die Einführung wird um ein Jahr auf Januar 2024 verschoben, ebenso die Einführung des E-Rezepts für DiGA.
Schnittstelle zum E-Rezept-Fachdienst: Vor allem für Leistungserbringer wie Ärzte sowie für DiGA-Hersteller soll eine Schnittstelle zum E-Rezept-Fachdienst in der Telematikinfrastruktur geschaffen werden. Wenn Patienten die Daten freigeben, sollen Mehrwertangebote den Nutzen der elektronischen Verordnung erhöhen. So sollen DiGA-Hersteller durch die Versicherten mit aktuellen und qualitativ hochwertigen Daten aus deren elektronischen Verordnungen versorgt werden. Auch Krankenkassen sollen über diese Schnittstelle Daten ihrer Versicherten erhalten können, zum Beispiel zur schnelleren Bewilligung von Verordnungen durch Ärzte. Nicht zuletzt könnte die Kommunikation über DiGA-Verordnungen von Fachärzten zu hausärztlichen Kolleginnen und Kollegen oder umgekehrt möglich sein. (ger/af)