FÜRSORGEPFLICHT VON HAUSÄRZTEN: PATIENT MUSS AUCH NACH ÜBERWEISUNG INFORMIERT SEIN
Ärzte haben laut Bundesgerichtshof eine "nachwirkende Schutz- und Fürsorgepflicht". Heißt: Wird ihnen durch Dritte ein kritischer Befund bekannt, müssen sie ihre Patienten darüber in Kenntnis setzen. Sie dürfen nicht einfach davon ausgehen, dass dies bereits geschehen sei.
KARLSRUHE. Ärzte müssen auch nach einer Überweisung sicherstellen, dass ihre Patienten wichtige Informationen bekommen, etwa aus dem Arztbrief einer Klinik. Ein Verstoß gegen diese Informationspflicht kann als grober Behandlungsfehler gewertet werden und damit Schadenersatzansprüche des Patienten rechtfertigen. So entschied jetzt der Bundesgerichtshof.
Im Streitfall war der Patient wegen Schmerzen im linken Bein und Fuß zu seiner langjährigen Hausärztin gegangen. Die verwies ihn an eine Fachpraxis. Zwei Monate später hatte der Mann starke Schmerzen im Knie und kam als Notfallpatient in ein Krankenhaus. Eine Magnetresonanztomografie ließ eine etwa ein Zentimeter große Geschwulst in der linken Kniekehle erkennen.
Nach weiteren drei Wochen überwies die Fachpraxis den Patienten in ein anderes Klinikum. Dort wurde die Geschwulst mikrochirurgisch entfernt. Ein erster Arztbrief ging an die Hausärztin und nachrichtlich an die Fachpraxis. Erst nach weiteren zwei Monaten lagen allerdings die Ergebnisse der Gewebeuntersuchung vor. Entgegen der ursprünglichen Vermutungen war die Geschwulst nicht gutartig, sondern ein maligner Nervenscheidentumor. Dies teilte das Klinikum in einem zweiten Brief nur der Hausärztin mit. Der Patient solle an ein onkologisches Spezialzentrum verwiesen werden. Eine Kopie erhielt die Fachpraxis diesmal nicht.
Daraufhin geschah eineinhalb Jahre lang nichts. Dies fiel erst auf, als der Patient wegen einer Handverletzung in die Hausarztpraxis kam. Unterdessen hatte sich in der Kniekehle ein Rezidiv gebildet. Von seiner Hausärztin verlangte der Patient Schadenersatz und Schmerzensgeld. Die Ärztin hätte ihn über den zweiten Arztbrief informieren müssen, so seine Forderung.
Das Oberlandesgericht Düsseldorf wies die Klage ab. Selbst wenn man einen Behandlungsfehler unterstelle, habe der Patient nicht nachweisen können, dass dieser für den negativen weiteren Krankheitsverlauf ursächlich war. Zudem sei die Hausärztin in die Behandlung der Geschwulst gar nicht mehr einbezogen gewesen.
Der Bundesgerichtshof hob dieses Urteil nun auf und stellte klar: "Die Beklagte (Hausärztin) hat ihre ärztlichen Pflichten gegenüber dem Kläger verletzt, weil sie ihn über die Diagnose eines malignen Nervenscheidentumors und die Behandlungsempfehlungen des Klinikums nicht informiert hat". Hier gehe es um einen "bedrohlichen Befund", der Anlass zu umgehender weiterer Behandlung gegeben habe. Daher liege ein "schwerer ärztlicher Behandlungsfehler" vor. Ob auch anderen Ärzten Versäumnisse vorzuwerfen seien, spiele keine Rolle, betonten die Richter.
In solchen Fällen müssten Ärzte den Patienten kurzfristig neu einbestellen. Zwar habe hier die Hausärztin die Behandlung an die Fachpraxis abgegeben. Der zweite Arztbrief sei aber nur an sie gerichtet gewesen mit der Aufforderung, den Patienten in ein onkologisches Spezialzentrum zu schicken. Offenbar habe die Klinik die Hausärztin als behandelnde Ärztin angesehen. Auch wenn dies ein Irrtum war, hätte sie den Arztbrief nicht ignorieren und "sehenden Auges eine Gefährdung ihres Patienten hinnehmen" dürfen. Auch nach einer Überweisung treffe Ärzte eine "nachwirkende Schutz- und Fürsorgepflicht".
Beweislastumkehr greift hier
Daher habe die Hausärztin nicht einfach annehmen dürfen, auch die Fachpraxis oder der Patient selbst hätten den Befund des Klinikums erhalten. Denn darauf gebe es in dem zweiten Arztbrief keinerlei Hinweise. Gerade bei langjährigen Patienten müssten Hausärzte auch damit rechnen, dass Patienten sie im Krankenhaus als Ansprechpartner angeben.
Der BGH verwies den Streit zurück an das OLG Düsseldorf. Die Bewertung des Fehlers als "grob" führt nun zu einer Beweislastumkehr. In der Neuverhandlung muss nun die Hausärztin nachweisen, dass es auch bei einer sofortigen Information über den Befund zu einem Rezidiv des Tumors gekommen wäre.
Bundesgerichtshof Az.: VI ZR 285/17