FERNBEHANDLUNG: AUFBRUCH IM SÜDWESTEN
Ärzte in Baden-Württemberg dürfen die Fernbehandlung ohne Erstkontakt erbringen. Ein Start-up und zwei PKV-Unternehmen sind die Ersten, die das Modell in die Tat umsetzen.
KÖLN. Am 1. Dezember geht es los. Dann können Ärzte in Baden-Württemberg die ersten Patienten per Telefon, Videoschaltung oder App behandeln, auch wenn sie vorher noch nie Kontakt mit ihnen hatten. Möglich machen die Fernbehandlung die Änderung der Berufsordnung der Ärztekammer Baden-Württemberg und ein von ihr genehmigtes Modellprojekt der digitalen Gesundheitsplattform TeleClinic.
Bis Ende 2019 will das Münchener Start-up-Unternehmen gemeinsam mit privaten Krankenversicherern (PKV) herausfinden, ob die ärztliche Fernbehandlung für Patienten, Ärzte und Versicherer eine praktikable Alternative zum Besuch in der Arztpraxis ist. Mit von der Partie sind die Barmenia Krankenversicherung und ein weiterer Anbieter. Dem Vernehmen nach handelt es sich um den PKV-Marktführer Debeka, aber die Verträge sind wohl noch nicht in trockenen Tüchern. Die Debeka ist am digitalen Krankenversicherer Ottonova beteiligt, der Kunden Videokonsultationen mit Ärzten aus der Schweiz anbietet.
Anbieter ordnet jeden Fall erst ein
Bei zwei Versicherern muss es ohnehin nicht bleiben. "Das Projekt steht weiteren PKV-Unternehmen offen", sagt TeleClinic-Geschäftsführerin Katharina Jünger der "Ärzte Zeitung.
Da nur die Berufsordnung in Baden-Württemberg Ärzten die Fernbehandlung von unbekannten Patienten erlaubt, können auch nur Ärzte aus dem Ländle an dem Modellprojekt teilnehmen. Zumindest in einem ersten Schritt wollen die Versicherer das Angebot auch auf Kunden aus der Region beschränken.
TeleClinic hat einen Pool von rund 200 kooperierenden Ärzten. "Zurzeit rekrutieren wir gezielt in Baden-Württemberg, um weitere Ärzte zu gewinnen", berichtet Jünger. An dem Modellprojekt können sich Fachärzte aller Fachrichtungen beteiligen, die über mindestens sieben Jahre an praktischer Erfahrung verfügen. Sie benötigen keine besondere technische Ausstattung, ein internetfähiger PC mit Kamera und Ton sowie eine angemessene Internetgeschwindigkeit reichen aus.
Versicherte, die eine Fernbehandlung wünschen, wenden sich an TeleClinic. Dort ordnet medizinisches Assistenzpersonal den Fall zunächst ein. Ist es ein Notfall, wird der Rettungsdienst informiert. Braucht der Anrufer dringend einen Rat, wird er innerhalb von 15 Minuten zurückgerufen. Bei allen anderen Anfragen schickt TeleClinic eine Nachricht an alle Ärzte der gewünschten Fachrichtung.
Wer sich zuerst meldet, behandelt
"Der erste Arzt, der den Fall übernehmen will, bekommt den Patienten zugewiesen", erläutert Jünger. Hält der Arzt die Fernbehandlung für nicht möglich oder ausreichend, verweist er an einen Kollegen vor Ort. Die Ärzte können die Leistung über die GOÄ abrechnen. Dabei geht es um die GOÄ-Ziffer 3 (Eingehende Beratung, auch telefonisch), die mit dem 3,5-fachen Satz veranschlagt werden kann. "Die Vergütung läuft über uns", sagt sie.
Jeder einzelne Behandlungsschritt wird dokumentiert. "Die Unterlagen werden zehn Jahre gespeichert." Die ärztliche Fernbehandlung bei TeleClinic erfülle hohe Datenschutzstandards, die hochsensiblen Gesundheitsdaten werden ausschließlich auf deutschen Servern gespeichert, betont Jünger.
Die Barmenia hat die Beratung über TeleClinic-Ärzte bereits erprobt, die jedoch keine Diagnose gestellt haben. "Die Resonanz bei unseren Versicherten war positiv", berichtet der Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas Eurich. Zwar gab es bei einzelnen Patienten Unsicherheiten und Berührungsängste, die meisten wüssten aber die Vorteile des Angebots zu schätzen. Dazu zählt etwa die Erreichbarkeit der Ärzte außerhalb der normalen Sprechstundenzeiten.
Die Fernbehandlung kann nach Einschätzung von Eurich gerade in ländlichen Regionen eine wichtige Ergänzung zur Behandlung in der Arztpraxis werden. Das digitale Angebot kann Patienten lange und zum Teil auch unnötige Wege ersparen. Auch für die Ärzte habe es Vorteile, schätzt er. "Jeder Arzt kann selbst bestimmen, in welchem Zeitfenster er zur Verfügung steht."
Nicht an, sondern mit Ärzten sparen
Die Hoffnung des Barmenia-Chefs: "Die Fernbehandlung kann uns als Versicherer dabei helfen, das Thema Kosten besser in den Griff zu bekommen." Einsparpotenziale sieht er beispielsweise in der Gatekeeper-Funktion durch die medizinische Assistenz bei TeleClinic. "Es geht uns nicht darum, beim Arzt zu sparen, sondern durch effizient gestaltete Wege und Prozesse", betont er. Das Modell setze bewusst nicht auf einen eigenen Ärzte-Pool. "Wir binden die Ärzte in der Region ein."
Die Barmenia wird das neue Angebot allen Vollversicherten in Baden-Württemberg zur Verfügung stellen. "Es ist nicht tarifgebunden." Eurich hält zwei Jahre für einen guten Zeitraum, um zu validen Ergebnissen über die Fernbehandlung zu kommen. Sollten sich die positiven Erfahrungen bestätigen, wie sie bereits in der Schweiz gemacht wurden, werde das Modell der Fernbehandlung hoffentlich auch in anderen Bundesländern ausgerollt.