Elektronische Patientenakten: Die analoge Versorgungswelt geht mit der ePA nicht unter
Der Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe warnt vor zu hohen patientenseitigen Erwartungen an die bald obligaten elektronischen Patientenakten.
Düsseldorf. Viele Ärzte sehen es als einen Mangel der künftigen elektronischen Patientenakte (ePA), dass Patienten darüber entscheiden können, welche Behandlungsinformationen sie dort gespeichert haben wollen. Dabei vergessen sie nach Einschätzung von Dr. Martin Danner einen wichtigen Aspekt: Die Spielregeln der analogen Welt gelten weiter.
„Die elektronische Patientenakte ersetzt nicht die Primärdokumentation des Behandlungsgeschehens, und sie kappt auch nicht die Kommunikationsprozesse zwischen Ärzten und anderen Behandlern“, sagte der Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe auf dem 42. Deutschen Krankenhaustag in Düsseldorf. Bei Zweifeln oder Unklarheiten fragten Ärzte auch heute bei den jeweiligen Kollegen nach. „Die analoge Welt wird mit der elektronischen Patientenakte nicht untergehen“, betonte Danner. „Man muss die ePA als Add-on sehen.“
Die Ärzte müssen sich darauf einstellen, dass die Fragen der Patienten eventuell differenzierter werden.
Dr. Martin Danner, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe
Niedrigschwelliges Angebot
Die Akte könne die Rolle des Patienten im Behandlungsgeschehen stärken. „Er kann Vorgänge besser und eigenverantwortlich mitgestalten.“ Als Vorteil sieht es Danner, dass Patienten unmittelbaren Zugang zu Behandlungsunterlagen erhalten, ohne die Hemmschwelle überwinden zu müssen, die Dokumente einzufordern. „Die Ärzte müssen sich darauf einstellen, dass die Fragen der Patienten eventuell differenzierter werden.“ Aber die Rolle der Patienten wandele sich ohnehin, auch ohne die ePA.
Für Danner – Sprecher der Koordinierungsstelle der Patientenvertretung im Gemeinsamen Bundesausschuss – besteht kein Zweifel, dass der Patient entscheiden muss, wer die Akte einsehen darf und wer welche Informationen bekommt. Auch heute wäge der Patient ab, welches Vertrauen er zum Arzt hat. „Diese Möglichkeit der analogen Welt darf in der digitalen Welt nicht untergehen.“ Danner glaubt aber, dass Patienten nur selten Informationen gezielt zurückhalten oder Dokumente löschen werden.
Das sieht der Kardiologe Dr. Michael Weber, Präsident des Verbands der Leitenden Krankenhausärzte, ähnlich. „Diese Frage sollte man nicht hochstilisieren“, betonte er. Allerdings plädierte Weber dafür, dass die Ärzte einen Hinweis erhalten, ob die Akte vollständig ist oder nicht.
Er begrüßte, dass die Entwicklung der ePA durch das Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG) an Fahrt gewinnt. „Wir sind mit der elektronischen Patientenakte in den Kliniken längst noch nicht so weit, wie wir es vor zehn Jahren gedacht haben.“ Allerdings sollte man seiner Meinung nach am Anfang keine zu großen Erwartungen in ihre Leistungsfähigkeit haben. In der Akte könnten in der Aufbaustufe im wesentlichen PDF gespeichert werden, sie habe nur wenig Speicherplatz. Es werde nicht möglich sein, Röntgenbilder im DICOM-Standard oder Herzkatheter-Filme abzulegen. „Wir müssen die Befunde glauben“, sagte Weber.
Nach Meinung von Jan Neuhaus, Geschäftsführer des Dezernats IT, Datenaustausch und E-Health der Deutschen Krankenhausgesellschaft, ist bei der ePA nicht das Zurückhalten von Daten durch den Patienten problematisch, sondern die Fülle an Daten, die in die Akte fließen können. „Die Überinformation ist das Problem“, sagte er. Die elektronische Patientenakte sei nicht zweckgebunden. Patienten könnten dort Daten sammeln, für die Ärzte werde es schwierig, die für die Behandlung relevanten schnell herauszufiltern.
Ärzte ohne Rechtssicherheit
Gerade wegen der fehlenden Zweckbestimmung forderten die Datenschützer, dass die Patienten die Hoheit über die Daten haben. „Das ist einer der Dreh- und Angelpunkte beim Verständnis der elektronischen Patientenakte“, erläuterte Neuhaus.
Die Datenhoheit der Patienten führe dazu, dass die Akte in der Regel keine Grundlage für verbindliche Prozesse sein kann. Die Behandler hätten keine Rechtssicherheit. Das trägt dazu bei, dass nach seiner Einschätzung der Nutzen der ePA für die Patienten deutlich größer ist als für die Kliniken.
Grundsätzlich begrüßt der Informatiker aber die Zielrichtung des DVG. „Wir haben endlich eine deutschlandweit einrichtungsübergreifende elektronische Patientenakte, unabhängig von Region und Kasse“, resümierte Neuhaus.