EINE FRAGE DER ZULASSUNG: WIE AUS GESUNDHEITSAKTEN ECHTE PATIENTENAKTEN WERDEN
Die Einführung der elektronischen Patientenakte befindet sich in einem Schwebezustand. Wie sie amtlich aussehen wird, soll erst Ende des Jahres feststehen. Gleichzeitig bringen Kassen und Versicherer bereits eigene Akten auf den Markt. Kann das gutgehen?
Wie viele elektronische Gesundheitsakten in Deutschland bereits angeboten werden, ist unklar. Nicht einmal der Bundesregierung liegen dazu belastbare Angaben vor.
Öffentlich bekannt geworden sind in jüngerer Zeit das Projekt der AOK-Nordost, auch die Akte der Techniker Krankenkasse gemeinsam mit IBM hat bereits auf sich aufmerksam gemacht, ebenso die App "Vivy", hinter der die Allianz, die DAK, große Betriebs- und Innungskrankenkassen stehen. In der vergangenen Woche hat die Generali eine elektronische Gesundheitsakte eingeführt.
Den Sprung ins voll digitale Gesundheitszeitalter können Versicherte nicht vollführen, die ein solches Angebot annehmen. Diese Akten können im Moment noch nicht Teil der Telematikinfrastruktur sein. Dafür fehlen wesentliche Voraussetzungen. Erst rund 25.000 niedergelassene Ärzte verfügen bereits über Konnektoren. In Krankenhäusern und bei Angehörigen nichtärztlicher Heilberufe sowie in der Pflege gibt es bislang überhaupt keine technischen Voraussetzungen für die geplante große Vernetzung.
Unruhe in der Opposition
Die endgültigen Vorgaben für eine elektronische Patientenakte der Gesellschaft für Telematik (gematik) sind überfällig. Bis Ende dieses Jahres sollen sie vorliegen. Auch eine Fortschreibung des E-Health-Gesetzes könnte bis dahin im Bundestag diskutiert werden. Für die gematik ist die Einordnung dieser Akten klar: Gesundheitsakten ständen außerhalb der Telematikinfrastruktur und hätten keine Arztanbindung. Deshalb dienten sie lediglich als eine Art Tagebuch für die Patienten, hat die gematik der "Ärzte Zeitung" auf Anfrage mitgeteilt.
Dieser Schwebezustand für die bereits auf den Markt drängenden Gesundheitsakten hat Abgeordnete der FDP und der Grünen unruhig werden lassen. "Wie die (...) im Markt erkennbaren, konkurrierenden Aktenmodelle in Zukunft die Versicherten und Leistungserbringer übergreifend einheitlich vernetzen sollen und in welchem Verhältnis sie zu den Spezifikationen der gematik und den technischen Rahmenbedingungen der Telematikinfrastruktur stehen, ist unklar", heißt es in einer kleinen Anfrage der FDP-Fraktion an die Regierung.
Die Antwort, die der "Ärzte Zeitung" vorliegt, lässt Raum für Interpretationen: "Auf der Grundlage der von der gematik zu entwickelnden Interoperabilitätsvorgaben für die elektronische Patientenakte sowie des Zulassungsverfahrens können Anbieter von elektronischen Patientenakten innovative Lösungen entwickeln und im freien Wettbewerb in den Markt bringen", schreibt die zuständige Staatsekretärin im Gesundheitsministerium zurück. Sind die bestehenden Systeme damit schon mit im Boot, oder müssen sie umrüsten, nachdem die gematik im Dezember gesprochen hat?
In der Antwort auf eine kleine Anfrage der Grünen geht Weiss immerhin auf die "im Vorfeld der Einführung der elektronischen Patientenakte laufenden Projekte einzelner Krankenkassen" ein. Diese könnten "wichtige Impulse" für die Nutzung solcher Akten in der Telematikinfrastruktur liefern.
Die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen, Maria Klein-Schmeink, hat daraus das Fazit gezogen, dass die bereits vorhandenen Gesundheitsakten faktisch zu Forschungsprojekten degradiert seien.
AOK-Chef fordert Reform der gematik
Offenbar gibt es Gespräche zwischen den Anbietern von Gesundheitsakten und der gematik. Nach ersten Treffen hätten alle signalisiert, dass sie für ihre Produkte die Zulassung nach Paragraf 291a SGB V beantragen würden, heißt es bei der gematik. Damit würden die Gesundheitsakten unter das Dach der Selbstverwaltung schlüpfen und zu echten Patientenakten mutieren.
Tatsächlich macht man sich bei der Techniker Krankenkasse derzeit wenig Sorgen darüber, dass die Spezifikationen der gematik das Produkt Gesundheitskarte beschädigen könnten. Es gebe regen Austausch mit der AOK-Nordost und dem Vivy-Projekt, sagte eine Sprecherin der "Ärzte Zeitung". Es sei wichtig, dass Standards festgelegt würden. Allerdings werde derzeit nicht erwartet, dass das, was von der gematik komme, sich stark von dem unterscheide, was heute bereits da sei. Sorgen, dass die Entscheidung für eine Gesundheitsakte den Kassenwechsel erschwere, bräuchten sich Patienten nicht zu machen. Bei einem Wechsel könnten sie ihre Daten als Excel-Liste mitnehmen. In einer anderen App oder Akte würden die Daten dann wieder optisch ansprechender dargestellt, hieß es bei der TK.
Eine Neudefinition der Rolle der gematik forderte der Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbands Martin Litsch. Die gematik solle künftig die Interoperabilität und die Einhaltung der grundlegenden Infrastruktur verantworten. Vernetzte digitale Anwendungen und Dienste sollten dagegen in einem regulierten Wettbewerb entstehen.
Mit dem aktuellen Entwurf eines Versorgungsgesetzes hat Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schon einmal alte Zöpfe aus der gematik-Frühgeschichte abgeschnitten. So sollen die Daten der elektronischen Patientenakte vom Patienten auch über Smartphone und Tablet abgerufen werden können. Damit wird zumindest für eine jüngere Patientengeneration das Patientenfach obsolet, das Patient und Arzt mittels eGK und Heilberufeausweis nur gemeinsam öffnen können sollten.