DURCH ETIKETTENSCHWINDEL AUFGEDECKT: CAVE NOCEBOEFFEKTE BEI GENERIKA-THERAPIE NACHGEWIESEN
Selbst wenn Patienten an die Gleichwertigkeit von Generika glauben, haben sie mit Originalpräparaten eine höhere Therapietreue. Darauf deutet ein Experiment mit falschen Etiketten hin.
RIO DE JANEIRO. Mehr als 80 Prozent aller Verordnungen in Deutschland betreffen Generika. Obwohl die Nachfolgepräparate den gleichen Wirkstoff enthalten wie das Original und ihre Bioäquivalenz bewiesen haben, scheinen sich Vorurteile hinsichtlich der Wirksamkeit und Sicherheit dieser preisgünstigeren Medikamente zu halten. Die negativen Erwartungen können durch reduzierte Placebo- und verstärkte Noceboeffekte den Behandlungserfolg beeinträchtigen, wie randomisierte Studien ergeben haben.
Eine weitere randomisierte Untersuchung zeigt nun, dass auch die Therapietreue schlechter ist, wenn Patienten statt des Originals ein billigeres Generikum erhalten – oder ihnen das zumindest suggeriert wird (Eur J Public Health 2018, online 8. September).
Informationen zum Preis
In der Untersuchung hatten 101 Patienten nach einem dentalchirugischen Eingriff für sieben Tage einmal täglich Tramadol 50 mg verordnet bekommen. Allen Studienteilnehmern war dazu eine Box mit den Originaltabletten ausgehändigt worden; die Box trug aber nur bei 51 Patienten das korrekte Etikett, bei den übrigen 50 war sie mit dem Etikett eines Generikums versehen.
Die Patienten waren außerdem über den Preis des Original- beziehungsweise des Nachahmerpräparats informiert worden. Das Therapieverhalten wurde telefonisch nach einem, vier und sieben Tagen abgefragt.
Von den Patienten mit dem Generikum-Label beendeten 54 Prozent die Therapie vor Tag sieben, mit dem Original-Label waren es nur 33 Prozent. Unterschiede bei Dauer und Ausmaß der Operation sowie Alter, Geschlecht oder Bildung konnten diese Differenz nicht erklären.
In der Generikumgruppe griffen außerdem 26 Prozent der Patienten zusätzlich zu weiteren Schmerzmitteln, in der Originalgruppe tat das keiner (Bei den zusätzlich eingenommenen Mitteln handelte es sich ausschließlich um solche mit schwächerer analgetischer Wirkung).
Die Patienten mit dem Generikum berichteten außerdem über stärkere Schmerzen und schätzten die Effektivität ihrer Tabletten signifikant geringer ein als die Originalgruppe; sie waren dementsprechend weniger geneigt, ihre Schmerztherapie weiterzuempfehlen.
Unbewusste Effekte am Werk
Die beobachteten Effekte sind umso erstaunlicher, als in einer Befragung vor der Operation über 90 Prozent der Studienteilnehmer die Qualität von Original- und generischen Medikamenten als gleich bewertet hatten. Die Studienautoren um Rafael Goldszmidt aus Rio de Janeiro vermuten, dass hier unbewusste Effekte am Werk waren, die durch die Information über den Preis noch verstärkt wurden.
Dass umgekehrt eine besondere Bindung an das Original ausschlaggebend war, halten die Forscher für wenig wahrscheinlich, weil das rezeptpflichtige Medikament den meisten Patienten nicht bekannt gewesen sein dürfte.
Weniger Vorurteile in Deutschland?
Auch wenn in Deutschland, wo sehr viel mehr Generika verordnet werden als in Brasilien, die Wahrnehmung eventuell weniger von Vorurteilen belastet ist, kann die Studie eine Warnung sein, solche unerwünschten Effekte bei der Verordnung von Generika im Blick zu haben und gegebenenfalls mit dem Patienten zu besprechen.