BFARM-LEITFADEN: „FAST-TRACK“ MACHT APPS AUF REZEPT BEINE
Dank Rechtsverordnung und BfArM-Leitfaden ist jetzt etwas klarer, wie sich die Politik die „App auf Rezept“ vorstellt. Die Anforderungen an den Nutzennachweis fallen gemäßigt aus. Rasch in die Versorgung, heißt das Motto.
Berlin. Vom Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zugelassene Digitale Gesundheitsanwendungen (DiGA) sollen bald zu Lasten der GKV verordnet werden können. Schon ab August könnte es so weit sein, denn ab Ende Mai will das BfArM Anträge von Herstellern entgegennehmen; die jetzt in Kraft getretene DiGA-Rechtsverordnung (DiGAV) gibt der Behörde drei Monate für einen Bescheid.
Das Innovative an der DiGA-Zulassung ist der „Fast-Track“: Eine DiGA kann zwölf Monate lang evaluiert werden, bevor der Hersteller, sofern der Nachweis eines „positiven Versorgungseffekts“ gelingt, mit dem GKV-Spitzenverband über die endgültige Erstattung verhandelt.
In den ersten zwölf Monaten kann der Hersteller einen freien Preis abrufen, der per Rahmenvertrag zwischen GKV und Herstellerverbänden etwas eingehegt werden soll.
Was ist eine DiGA, und was nicht?
Vor allem zwei Fragen stellen sich: Was genau ist eine DiGA bzw. was nicht? Und wie sieht der Nutzennachweis genau aus? Wie belegt die digitale Anwendung, dass sie mehr ist als ein nettes Gimmick? Hilfestellung bei der Beantwortung dieser Fragen geben die DiGAV und der über 100 Seiten lange DiGA-Leitfaden des BfArM, der Anfang letzter Woche vorgelegt wurde.
„App auf Rezept“ schon ab August?
Generell müsse eine DiGA ein Medizinprodukt der Klasse I oder IIa sein, und ihre „Hauptfunktion“ müsse wesentlich auf Digitaltechnik beruhen, erläuterte Lars Hunze vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) jüngst beim DiGA-Summit des Ministeriums in Berlin. Eine Unterarmgehstütze mit integriertem Schrittzähler wäre keine DiGA, eine WhatsApp-artige Kommunikationsanwendung auch nicht.
Digitale Tools, die den Arzt in der Praxis bei der Diagnose unterstützen, fallen ebenfalls aus. Gesucht sind Anwendungen, die das „Gesundheitshandeln der Patienten und die Integration der Prozesse“ in den Mittelpunkt rücken, wie es Sophia Matenaar, ebenfalls BMG, ausdrückte.
Der Mehrwert entscheidet
Wiebke Löbker und Wolfgang Lauer vom BfArM brachten weitere Beispiele, die auch im Leitfaden des BfArM enthalten sind und die verdeutlichen, wo in etwa das BfArM die Grenzen ziehen will. Ein Brustgurt, der bei Schlafapnoe nachts Atemaussetzer detektiert, die dann am Morgen von einer App angezeigt werden, ist noch keine DiGA. Denn die App ist hier nur Anzeigeinstrument.
Wenn allerdings komplexere Analytik erfolgt, bei der über eine (als Medizinprodukt zugelassene) Smartwatch-App zusätzlich die Herzfrequenz gemessen und von der Anwendung ausgewertet wird, und wenn der Arzt aus diesen Informationen maßgeblich weitere Diagnose- oder Therapieschritte ableiten kann, dann läge eine DiGA vor.
Noch ein Beispiel: Eine App für chronisch-entzündliche Darmerkrankungen, die einen Ernährungsberater per Chat verfügbar macht, wäre keine DiGA. Gibt es dazu ein Symptomtagebuch und Algorithmenunterstützung beim Management von Symptomen/Ernährung, sähe es anders aus.
Eine dauerhafte BfArM-Listung erfordert einen Nutzennachweis, der entweder gleich am Anfang eingereicht werden kann oder aber im Rahmen des Fast-Tracks im ersten Jahr erbracht wird. Zwei Arten von Nutzen sind gemäß DiGAV zulässig, entweder ein „medizinischer Nutzen“ oder eine „patientenrelevante Struktur- und Verfahrensverbesserung“.
BfArM will quantitative Auswertung
Wie wird das nachgewiesen? International gibt es hier bisher wenig Orientierungshilfe. Das britische NICE hat ein abgestuftes Evidenzmodell vorgelegt, und auch das BfArM macht keine pauschalen Vorgaben.
Nötig ist eine „vergleichende Studie“, wobei der Hersteller ein Studienkonzept vorlegen muss, das das BfArM dann für verbindlich erklärt. Minimum sei eine retrospektive Vergleichsstudie mit einer „an der Versorgungsrealität orientierten“ Vergleichsgruppe, so Matenaar.
Mit den neu in die Gesundheitsversorgung gebrachten Produkten wird das Innovationspotenzial digitaler Anwendungen für die Gesundheitsversorgung in Deutschland systematisch erschlossen und zugleich ein neuer Akzent im Leistungsgeschehen der GKV gesetzt.
BfArM, aus dem DiGA-Leitfaden
Natürlich seien auch prospektive und randomisierte Studien denkbar. DiGA, die diagnostische Instrumente sind, benötigen zusätzlich eine diagnostische Teststudie, die Aussagen zu Sensitivität und Spezifität erlaubt. Auch Vorher-Nachher-Vergleiche sollen in bestimmten Konstellationen möglich sein.
Wichtig sind dem BfArM quantitative Auswertungen, etwa bei einer Melanom-DiGA die strukturierte Erfassung der Mortalität, so Lauer. Auch eine Verbesserung von Symptomen oder Lebensqualität auf quantitativen Bögen wie SF-36 oder Schmerz-Scores lässt die Behörde gelten, denkbar etwa bei einer App zur Unterstützung der Heim-Physiotherapie bei vorderem Knieschmerz.
Ebenfalls möglich ist zum Beispiel der Nachweis höherer Leitlinientreue durch eine quantitative Adhärenz-Erfassung per MAQ-Fragebogen. Nicht erlaubt wären – erneut exemplarisch – strukturierte Interviews mit interpretativer Auswertung zur Erfassung der Patientensouveränität bei früher Demenz.
Aufwandsentschädigung für Ärzte
Charmant aus Versorgersicht ist an der DiGA-Liste beim BfArM, dass Ärzte und Psychotherapeuten den ihnen entstehenden Aufwand vergütet bekommen sollen. Das gelte ausdrücklich nicht für das Verschreiben, betonte Matenaar, sondern für Aufwände im Zusammenhang mit der Nutzung der DiGA.
Die Höhe der ärztlichen/psychotherapeutischen Vergütung soll innerhalb von drei Monaten nach Listung im Bundesmantelvertrag geregelt werden. Vorher wird gegebenenfalls nach GOÄ abgerechnet.
Keine generelle Vergütung sieht die DiGA-Rechtsverordnung für andere Berufsgruppen vor, etwa Ernährungsberater oder digital eingebundene Physiotherapeuten. Hier könnte es nach Vorstellung des Ministeriums ergänzend und kassenindividuell Selektivvertragskomponenten geben.
Noch nicht so ganz klar ist, wie DiGA-Rezepte technisch ablaufen sollen. Angestrebt ist ein komfortabler Prozess via Praxis-IT, aber hier gibt es noch Diskussionen.