AUF DEM WEG ZUR GRÜNEN PRAXIS: KOLLEGEN GEBEN TIPPS FÜR NACHHALTIGKEIT
Immer mehr Arztpraxen wollen einen Beitrag im Kampf gegen den Klimawandel leisten. Eine „Allianz der Willigen“ mit ganz friedlichen Zielen schraubt an vielen kleinen Rädern.
„Meine Kinder sind die größten Impulsgeber“ – bei ihren Bemühungen um eine umweltgerechtere Praxisgestaltung spielen jüngere Menschen für die Allgemeinärztin Dr. Andrea Oest eine doppelte Rolle: zum einen für den Ideen-Input, etwa zur Konsumreduzierung und gesunden Ernährung, und zum anderen als Motivationsquelle. Schließlich müssen sie später ausbaden, was jetzt versäumt wird – diese Erkenntnis eint alle Mediziner, die sich für Klimaschutz und Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen einsetzen.
Erster Schritt: Selbstversuch
Oest wollte es aber nicht bei der Erkenntnis belassen, sondern auch selbst etwas tun. Erster Schritt war ein Selbstversuch: Mithilfe eines Rechners der Stiftung „Wilderness International“ ermittelte sie den CO2-Fußabdruck ihrer Praxis in der saarländischen Kreisstadt Homburg. Das Ergebnis: 37 Tonnen Treibhausgase pro Jahr. Etwa zwei Stunden brauchte Oest, um die geforderten Daten aus dem Vorjahr herauszusuchen und einzugeben. Dabei nutzte sie den Terminkalender, die Buchhaltung, Nebenkostenabrechnungen, Informationen zur Medikation und Schätzungen etwa über Anfahrtswege von Patienten und Personal.
Die errechneten Emissionen kann man über eine Spende ausgleichen und dafür ein Zertifikat bekommen, das sich im Wartezimmer ausstellen lässt. Mit dem Beitrag ihrer Hausarztpraxis ermöglicht Oest den Ankauf von über 600 Quadratmeter tropischen Regenwalds und damit genau der Fläche, die 37 Tonnen CO2 binden kann.
Verschiedene Bereiche mit Sparpotenzial
Natürlich riecht dieses Verfahren ein wenig nach einem Ablasshandel und ist deshalb unter Aktivisten umstritten. Für Oest steht deshalb die handlungsorientierte Sensibilisierung im Mittelpunkt. „Interessant dabei ist, welchen Anteil ich ändern kann und welchen nicht“, gibt sie zu bedenken. Und dabei sind ihr doch viele Baustellen aufgefallen, an denen sie seither arbeitet.
Als besonders große Bereiche mit Sparpotenzial identifizierte die Hausärztin die Medikation und das Fahrverhalten ihrer Patienten, von denen nach einer Stichprobe lediglich jeder fünfte ohne PKW in die Praxis kommt. Diese beiden Posten machten bei ihr laut Berechnung über 70 Prozent des CO2-Ausstoßes aus. Ihre Konsequenz: regelmäßiger Medikamentencheck und zurückhaltendes Verordnen sowie eine klimasensible Gesundheitsberatung, etwa im Rahmen der Check-ups.
Auch kleine Schritte helfen
Aktive Mobilität und pflanzenbasierte Ernährung hält Oest dabei für besonders wirkungsvolle Empfehlungen. Zwar seien nicht alle Patienten dafür empfänglich, aber: „Wir Allgemeinärzte haben viel Erfahrung mit Gesprächssituationen“, macht sie Kollegen Mut. Und außerdem gelte, dass „auch kleine Schritte helfen“.
Allerdings sind ihr die Grenzen ihres Engagements bewusst. „Den Großteil muss die Politik verändern“, ist sie überzeugt. Sie selbst fand Mitstreiter bei der Ortsgruppe von „Health for Future“.
Dieser Zusammenschluss von Beschäftigten im Gesundheitsbereich agiert unter dem Dach der „Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit“ (KLUG), zu deren Mitgliedern unter anderen auch der Deutsche Ärztinnenbund und die Stiftung „Gesunde Erde – Gesunde Menschen“ von Dr. Eckart von Hirschhausen gehören. An der Universität des Saarlandes hielt Oest eine Gastvorlesung und sie leitet einen „Arbeitskreis Klima und Gesundheit“ in der Ärztekammer.
Umsetzung ist komplex
Uni und Kammer – an beiden Betätigungsfeldern wird schnell klar, wie komplex die Thematik und die Umsetzungsstrategien tatsächlich sind. An der Universität steht der Virologe Dr. Jürgen Rissland mit an vorderster Front der Klima-Bewegten. Ihm wurde nach eigener Erinnerung vor rund zehn Jahren bei der Beschäftigung mit Zoonosen der Zusammenhang von Temperaturveränderungen und dem Anstieg von Infektionskrankheiten bewusst.
Inzwischen ist er überzeugt, dass der Klimawandel und seine Auswirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung eine zentrale Herausforderung der nächsten Jahrzehnte sein wird. Offenbar teilen viele niedergelassene Ärzte seine Einschätzung. So berichtete bei einer Online-Umfrage der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg vor zwei Jahren die Mehrheit der fast 1.700 Teilnehmer von klimabedingten Folgen für die Gesundheit ihrer Patientinnen und Patienten.
Klimawandel bereits im Studium verankern
„Wir müssen eine Allianz der Willigen bilden und vor allem auf die Generation Zukunft setzen“, betont Rissland. Was läge da näher, als medizinische Aspekte von Klimawandel und Nachhaltigkeit schon in der Ausbildung der Studenten zu verankern?
Die ersten Erfahrungen damit waren jedoch ernüchternd: In dem neu eingerichteten Wahlpflichtfach tummelten sich durchschnittlich nur 20 Teilnehmer. Also machte Rissland einen neuen Anlauf in Form einer semester- und fachübergreifenden Ringvorlesung in hybridem Format.
Die Themenpalette ist weit gespannt und reicht von physikalischen Grundlagen bis hin zu den spezifischen Herausforderungen, mit denen sich Pneumologen, Pädiater, Dermatologen oder Verantwortliche im Öffentlichen Gesundheitswesen konfrontiert sehen. Doch auch hier fiel die Resonanz bisher bescheiden aus. Nun denkt Rissland darüber nach, die Thematik an ein Querschnittsfach mit Erfolgskontrollen anzudocken und durch die Aussicht auf den Erwerb von studienrelevanten Scheinen attraktiver zu machen.
Anlagestrategie der Versorgungswerke
Bei der Ärztekammer ist man sich seit geraumer Zeit über die Bedeutung dieser Fragen bewusst. Sie erkor „Klimawandel und Gesundheit“ zu einem der Schwerpunktthemen des laufenden Fortbildungsjahres, engagierte den Wettermoderator Karsten Schwanke für den Eröffnungsvortrag und verlieh ihren Gesundheitspreis an das Homburger „Health for Future“-Team.
Mit einem Anliegen ist Kammerpräsident Dr. Josef Mischo allerdings gescheitert. Die Forderung nach einem Schulfach Gesundheit bleibt unerfüllt. Dem Bildungsministerium war ein neues Pflichtfach Informatik wichtiger. „Wir werden eine Form von Gesundheitskommunikation mit edukativem Aspekt brauchen“, ist sich Rissland jedoch sicher.
Der Kammer-Arbeitskreis Klima und Gesundheit stellte sich auch von Beginn an die Frage, wo die ärztlichen Institutionen über den Fortbildungsaspekt hinaus selbst gefordert sind. Dabei stieß man schnell auf einen Bereich mit großem materiellen Gewicht, nämlich die Anlagestrategie der Versorgungswerke.
Nachhaltige Investitionen
Tatsächlich war man dort schon vor Jahren selbst aktiv geworden, erklärt Dr. Josef Mischo, Präsident der saarländischen Ärztekammer und Vorsitzender der Ständigen Konferenz „Ärztliche Versorgungswerke und Fürsorge“ der BÄK. Da inzwischen die Renditen konventioneller und als nachhaltig eingestufter Anlagen vergleichbar seien, habe es unter diesem Gesichtspunkt keine grundsätzlichen Einwände gegen eine entsprechende Ausrichtung gegeben.
So sei im saarländischen Versorgungswerk die Orientierung an ESG-Kriterien bereits verankert. Die Abkürzung ESG steht in der Finanzwelt für Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance (Unternehmensführung). Über Ausschlusskriterien und Ratings sollen nachhaltige, auf Mensch und Natur Rücksicht nehmende Investitionen identifiziert werden.
Die Sensibilisierung ist da, aber die sachgerechte Umsetzung manchmal extrem schwierig
Dr. Josef Mischo, Präsident der saarländischen Ärztekammer und Vorsitzender der Ständigen Konferenz „Ärztliche Versorgungswerke und Fürsorge“ der BÄK
Doch der Teufel steckt wie so oft im Detail. Mischo nennt einige Beispiele, warum sich das Thema für Schwarz-Weiß-Malerei nicht eigne. Wie verhält es sich mit Aktien von Erdölkonzernen, die zunehmend ihre Tätigkeit auf erneuerbare Energien umstellen; soll man sich dennoch fernhalten oder den Transformationsprozess unterstützen?
Und welche Auswirkungen werden die Diskussionen um neuerdings „gute“ Waffenlieferungen etwa an die Ukraine haben, wo die Rüstungsproduktion für ESG in der Regel ein wertbasiertes KO-Kriterium darstellt? „Die Sensibilisierung ist da, aber die sachgerechte Umsetzung manchmal extrem schwierig“, erklärt Mischo.
„Irgendwo muss man anfangen“
So bleibt eben wieder einmal alles mit allem verflochten. „Irgendwo muss man anfangen“ – diese Überzeugung von Rissland verweist letztlich dann doch wieder auf die primäre Verantwortung jedes Einzelnen. Tatsächlich erklärte mehr als die Hälfte der Teilnehmer für die Studie aus Halle-Wittenberg, sie setzten bereits einige beispielhafte Klimaschutzmaßnahmen um.
Dabei gibt es eine riesige Spannweite, wie die Einreichungen für den Gesundheitspreis der saarländischen Ärzteschaft illustrieren: Zum Nachhaltigkeitskonzept der Hausarztpraxis von Dr. Hanna Seuren in dem ländlichen Wadgassen-Differten gehören beispielsweise eine energetische Sanierung der Räume ebenso wie Papiervermeidung durch Digitalisierung, bewusster Einsatz von Recycling-Material und das E-Bike-Leasing für MFA.
Auch die in Völklingen praktizierende Allgemeinmedizinerin Ragna Folz-Schmidt setzt verstärkt auf ökologischere Mobilität, schaffte für das Team zwei Elektroautos an und ließ dafür Wallboxen installieren. Und das in Sulzbach ansässige Private Institut für Arbeitsmedizin AME beschreibt seine Anstrengungen zur CO2-Reduzierung auf der Homepage – von angepasstem Heizen bis hin zu ressourcensparender Materialbewirtschaftung. Zudem wirkt die AME-Ärztin Dr. Elisabeth Boßlet im Kammer-Arbeitskreis und als Stellvertreterin in der Ständigen Kommission Gesundheit und Umwelt bei der BÄK mit.
Begrenztheit der Möglichkeiten ist klar
Dennoch: Allen Ärzten, die sich für Nachhaltigkeit und klimafreundliches Verhalten in ihrem beruflichen Umfeld einsetzten, ist die Begrenztheit ihrer Möglichkeiten klar. Zudem sind sie gerade in ländlich strukturierten Regionen noch eine kleine Minderheit. „Man braucht Frustrationstoleranz. Die einzelnen Bausteine sind noch nicht zu einer kritischen Masse zusammengewachsen“, sagt Rissland.
Er setzt aber wie die Hausärztin Oest auf das Motto, das die saarländische Landespolitik immer wieder propagiert: Großes entsteht immer im Kleinen. Und Rissland ist überzeugt, dass der Leidensdruck in der gesamten Gesellschaft steigen wird. „Die Auswirkungen des Klimawandels werden wir zunehmend spüren.“ Und hier stünden eben nicht nur die Politik, Unternehmen und Institutionen in Verantwortung, sondern auch die Medizin gerade im niedergelassenen Bereich, gibt sich Oest überzeugt: „Wir Ärzte haben das Vertrauen von Patienten und können deshalb wirkungsvoll über gesundes, klimaschützendes Verhalten beraten.“