ALLGEMEINMEDIZINER: IN DER VERSORGUNG AUF KULTURELLE UNTERSCHIEDE EINLASSEN
Bei Patienten mit Migrationshintergrund ist die persönliche Beziehungsebene besonders wichtig in Sachen Vertrauensbildung. Und auch die Familie spielt in anderen Kulturkreisen eine größere Rolle.
Empathie ist bei Patienten aus anderen Kulturkreisen sehr wichtig, um ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, erklärte der Mainzer Allgemeinmediziner Dr. Rahim Schmidt beim Internistenkongress in Wiesbaden.
Wiesbaden. Bei der Behandlung von Patienten anderer Kultur- und Sprachkreise sollten Ärztinnen und Ärzte Verhaltensunterschiede nicht als Hindernis begreifen, sondern als zusätzliche Ressource erkennen. „Wir sollten die Chance nutzen, in der Versorgung einen besonderen Raum für Sprache, Kommunikation und Interaktion zu schaffen“, betonte der Mainzer Allgemeinmediziner Dr. Rahim Schmidt beim Internistenkongress in Wiesbaden.
„Menschen bringen kulturelle Brillen, ihre Sprachgewohnheiten mit, das sehen wir tagtäglich in Praxen“, so Schmidt, der vor 44 Jahren aus dem Iran nach Deutschland emigrierte.
Mehrere Angehörige in der Arztpraxis
Bei Patienten aus Ländern, in denen die Familie eine große Bedeutung hat, könne es passierten, dass sie mehrere Angehörige mit zum Besuch in die Praxis bringen. Wenn einer krank ist, ist die ganze Familie krank, erläutert er. In einem solchen Fall begrüßt Schmidt zunächst einmal alle, die in der Praxis sind, und fragt, wer von ihnen denn krank sei. „Dann bedanke ich mich bei den anderen, dass sie ihn oder sie nicht allein gelassen haben, und sage, dass ich mich jetzt auf ihn oder sie konzentrieren muss und der Rest nach Hause gehen kann.“
Die Patienten fragt er regelmäßig nach ihrer Familie. Ganz anders bei deutschen Patienten. „Wenn ich einen Juristen in Frankfurt frage, wie es seinem Vater geht, dann denkt er, ich habe nicht alle Tassen im Schrank.“
Medizin ist Beziehungsarbeit
Empathie sei sehr wichtig. „Damit baut man eine Beziehung auf, Medizin ist eine Beziehungsarbeit“, sagt Schmidt. Ist auf diesem Weg ein Vertrauensverhältnis zum Patienten entstanden, wird es auch akzeptiert, wenn der Arzt erklärt, dass man bei einem Schnupfen kein Antibiotikum benötigt. Fehlt die Beziehungsebene, werde der Patient eher misstrauisch.
Wenn Patienten von Familienmitgliedern begleitet werden, kann das auch ein Vorteil sein, weiß der Orthopäde Tolgar Sancaktaroglu vom Zentrum für Orthopädie, Sportmedizin und Unfallchirurgie in Bodenheim. Gerade bei Aufklärungsgesprächen vor Eingriffen helfe das Wissen, dass ein Patient von einem sozialen Netz aufgefangen wird, erläutert Sancaktaroglu. „Probleme haben wir eher mit manchen Patienten, die alleine kommen.“ Wenn der Arzt nicht weiß, ob und wie sie nach dem Eingriff versorgt werden, müssen sie häufig stationär versorgt werden.
Unterschiedliche Erwartungshaltungen an den Arzt
Bei Patienten mit Migrationshintergrund ist seiner Erfahrung nach die Erwartungshaltung an den Arzt häufig anders als bei Deutschen, die oft meinen, das meiste schon selbst zu wissen. „Bei deutschen Patienten habe ich oft das Gefühl, nur noch die Diagnose bestätigen zu müssen.“ Migranten hätten dagegen in der Regel weniger genaue Vorstellungen. Natürlich gebe es keine pauschalen Unterschiede, betont der Orthopäde. „Aber es gibt Tendenzen.“
Ärzte sollten sich auf die kulturellen und religiösen Unterschiede bei ihren Patienten einlassen, empfiehlt Sancaktaroglu. „Wenn wir uns so verhalten, wie wir uns im Urlaub verhalten, also offen sind, dann können wir viel erreichen.“
Schmidt plädiert für Schulungen von Patienten mit Migrationshintergrund, denen es an Gesundheitsbildung fehlt. Dort könnten die Patienten erfahren, wie der Körper funktioniert, wann er sich krank meldet und wie sie damit umgehen können. „Wir würden Milliarden sparen, wenn Menschen die eigenen Ressourcen besser nutzen könnten.“