Sehr geehrte Kollegin, sehr geehrter Kollege,

herzlich willkommen zur ersten Ausgabe 2017 unserer Expertenberichte. Diesmal berichtet Dr. med. Frank Bätje zum Thema „Ausgewählte Problematik der Rhizarthrose“. Wir laden Sie ein, bei Interesse mit dem Autor direkt Kontakt aufzunehmen. Wir wünschen Ihnen eine interessante Kurzlektüre.

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Ausgewählte Problematik der Rhizarthrose

Rhizarthrose
(Daumensattelgelenksarthrose, CMC I-Arthrose, Trapezio-Metakarpal-Arthrose, engl. trapeziometacarpal osteoarthritis, osteoarthritis at the base of the thumb)

Die aktuellste medizinische Studie zum Thema, gelistet bei PubMed (US National Library of Medicine) und erschienen 2015 im „Joint, Bone, Spine“
(www.journals.elsevier.com/joint-bone-spine) kommt aus Spanien und vergleicht den Effekt intraartikulär injizierter Hyaluronsäure mit Betamethason: Beides wirksam, Hyaluronsäure sogar noch effektiver als das Steroid. Aufregend ist das nicht.

Und weder überraschend noch neu - und die Daumensattelgelenkarthrose an sich ist es ja auch nicht: Reviews bei PubMed reichen bis ins Jahr 1960 zurück. Bekannt ist diese Form der Handwurzel-Arthrose natürlich schon sehr viel länger. Und Konsens besteht darüber, dass die Rhizarthrose die häufigste Arthroseform der Hand darstellt.

Betroffene empfinden wechselnde Belastungs-, Bewegungs- und Ruheschmerzen (auch nachts) in der radialseitigen Handwurzel bis hin zu Fehlstellungen im 1. Strahl, gepaart mit Daumenmuskelatrophien und erheblichen Funktionsstörungen. Die Symptomatik kann Dimensionen erreichen, die zu schwersten chronischen Schmerzen, Immobilität und Berufsunfähigkeit führen können. Zweifellos wird es jeden ernsthaft Erkrankten in ärztliche Behandlung führen. Die gute Nachricht zum Thema: Viele bleiben weitgehend asymptomatisch.

Funktionelle Gelenkanatomie
Das „Spielfeld“ der Daumensattelgelenk-Arthrose ist wirklich klein – etwa drei cm². Groß hingegen ist der Range Of Motion im diesem 1. Karpometakarpalgelenk: Beide korrespondierenden Gelenkflächen des Os trapezium und des Os metacarpale I sind sattelförmig geformt, stehen quer zueinander und ermöglichen dem Daumen als wichtigstem Finger an der Hand einen erheblichen Bewegungsspielraum, weiträumiger als in jedem anderen Hand- und Fingergelenk. Und so klein dieses bedeutsame Gelenk auch ist so komplex ist sein anatomischer Aufbau. Nicht weniger komplex ist seine funktionelle Anatomie.

Vier Bewegungsrichtungen sind möglich, kombinierbar und zwingend mit der vollen Funktion der Hand verknüpft: Beim Daumenkreisen, der Zirkumduktion, findet eine Kombination von Adduktion (30-40°), Abduktion (10°), Flexion (40°) und Extension (30°) aus der Neutralstellung heraus statt. Als Opposition wird eine kombinierte Bewegung aus Flexion, Adduktion und Innenrotation des Daumens bezeichnet. Nach anderer Lesart wird als Opposition nur die Flexion und als Reposition die Extension definiert.

So betrachtet existieren gleich acht Einzel- bzw. Kombinationsbewegungsmöglichkeiten um zwei senkrecht aufeinander stehende Hauptachsen, die in einem Winkel von 90° zueinander stehen. Praktisch bedeutsam ist die Mitbeteiligung des mobilen Daumensattelgelenks bei der Anwendung des Messblatts für obere Extremitäten (nach der Neutral-0-Methode): Neben der vergleichenden Messung der Handspanne (Abduktionswinkel), der Winkelmessung zwischen Os metacarpale I und II (Abduktions- und Flexionswinkel), der Feststellung, welche Langfingerkuppen mit der Daumenkuppe Kontakt finden (Fingerkuppenopposition) interessiert hierbei ferner die Flexions- und Extensionsfähigkeit der Daumenend- und –grundgelenke, wobei letzteres vom Daumensattelgelenk nur schwer zu unterscheiden ist.

Zurück zum anatomischen Aufbau: Bewerkstelligt wird diese Leistung durch wahrhaftig viele stabilisierende und mobilisierende Weichteilstrukturen: Sechzehn verschiedene, teilweise in eine eher schlaffe Gelenkkapsel integrierte Ligamente stabilisieren und führen das Gelenk. Acht Daumenmuskeln sorgen für Gelenkstabilisierung und –bewegung. Und es existieren geschlechtsspezifische Unterschiede im Gelenkaufbau: Frauen haben gegenüber Männern eine abgeflachtere Trapeziumgelenkfläche und dadurch eine geringere Gelenkkongruenz, einen dünneren Gelenkknorpelbelag und häufiger eine in Hypermobilität mündende Bandlaxizität. Bei manchen Autoren findet in diesem Zusammenhang der Begriff „präarthrotische Deformität“ Anwendung. Dieser Begriff findet aber auch Anwendung bei der Beschreibung einer Varietät des M. abductor pollicis longus, die bei jeder fünften Rhizarthrose zu beobachten sei und zu einer Adduktionsfehlstellung des Daumens führt.

Ätiopathogenese
So gesehen müsste es jedem Menschen, der sich Gedanken über Verschleißteile macht, völlig einleuchtend sein, dass hochstrapazierte Strukturen auch überdurchschnittliche Abnutzungen erfahren. Aber gerade beim Daumensattelgelenk ist dies nicht zwingend so. Maurer oder Zimmerleute benötigen repetitive und kraftvolle Griffe aus voller Handspanne heraus, was maximale Abduktion und Flexion (nebst Daumenmittel- und –grundgliedflexion) im ersten Karpometakarpalgelenk erfordert. Physiotherapeuten und Masseure produzieren bei manuellen Lymphdrainagen und Querfriktionstechniken kraftvollen Adduktions- und Flexionsstress im Daumengrundgelenk. Viele andere Berufe, auch solche mit geringfügigem Körperkrafteinsatz erfordern ebenfalls regelmäßige einseitige Überbeanspruchungen im ersten Strahl ihrer Hand oder Hände, z.B. durch repetitive Präzisionsgriffe als Pianist oder Trompetenspieler. Nicht zu vergessen sind die manuellen Belastungen, die die „Head-Down-Generation“ durch exzessive Smartphonenutzung erleidet (Abbildung 2).


Rhizarthrose - durch strapaziöse Smartphonebenutzung

Es existiert jedoch keine positive Korrelation zwischen solchen negativen Stressoren und typischen degenerativen Gelenkschäden. Aus diesem Grund („Das Risiko muss weit größer sein als das der Allgemeinbevölkerung.“) sind Rhizarthrosen im Zweifelsfall auch nicht als Berufserkrankungen anerkannt. Die Liste dieser Berufskrankheiten ist eine „abschließende Liste" und führt zwar „vibrationsbedingte Durchblutungsstörungen an den Händen“, „Druckschädigung des Nervus medianus im Carpaltunnel“ und die „Gefäßschädigung der Hand durch stoßartige Krafteinwirkung“, nicht aber die Rhizarthrose auf.

Gründe für das Auftreten einer primären (idiopathischen) Rhizarthrose werden oft in erblicher Vorbelastung gesucht. Gestützt wird diese Annahme durch die Tatsache, dass außerordentliche manuelle Belastungen in der Anamnese oft nicht zu eruieren sind. Ferner dadurch, dass diese Arthrose häufig bilateral auftritt und dadurch, dass das weibliche Geschlecht hierbei überrepräsentiert ist.

Die Prävalenz symptomatischer Rhizarthrosen in der Gesamtbevölkerung liegt geschlechtsabhängig bei 10-20 % und bei den Betroffenen ist zumeist ein beidseitiger Befall festzustellen. Teilweise leiden diese Patienten an einer Polyarthrose. Frauen im postmenopausalen Alter erkranken am häufigsten, weshalb auch hormonelle Entstehungsfaktoren diskutiert werden. Die Gesamtprävalenz (also inklusive asymptomatischer Fälle) ist natürlich höher: 33% bei postmenopausalen Frauen, 11% bei Männern über 55 Jahren – gemäß unterschiedlicher Angaben.

Posttraumatische Rhizarthrosen werden ebenfalls beschrieben: Vorbestehende Radiusfrakturen (Radiusfraktur loco typico) führen zu einer signifikant höheren Prävalenz der Daumensattelgelenkdegeneration. Naheliegend ist, dass auch basisnahe Metakarpale I-Frakturen (Winterstein-Frakturen) und ossäre oder ligamentäre Verletzungen der radialseitigen Handwurzel solche Sekundärkomplikationen heraufbeschwören. Sekundäre Rhizarthrosen finden sich deutlich seltener auf der Basis einer entzündlichen bzw. rheumatischen Erkrankung.

Diagnostik
Diagnostische Probleme bereit die Rhizarthrose dem Untersucher nicht, weil die beklagten Symptome zumeist schon sehr wegweisend sind. Die klinische Untersuchung berücksichtigt lokale Schmerzen bei direktem Druck, Traktion und Kompression (Grind-Test, Drucktest nach Glickel) sowie die Schmerzangabe beim Spitzgriff. Inspektorisch fällt in fortgeschrittenen Stadien die Muskelatrophie des Thenar auf. Röntgenologisch auffällig sind Gelenkspaltverschmälerungen, Subluxationsmerkmale, Inaktivitätsosteoporose und osteochondrale Defekte nebst Osteophyten, die die Rhizarthrose-Stadien beschreiben (Abbildung 3):


Rhizarthrose - Röntgen pa mit verschmälertem Gelenkspalt

Radiologische Stadien nach Eaton und Littler

1. weniger als 1/3 Subluxation, noch normale Gelenkkonturen
2. 1/3 Subluxation, kleinste Osteophyten
3. mehr als 1/3 Subluxation, größere Osteophyten, geringe Gelenkspaltverengung
4. erhebliche Subluxation, zystische und sklerotische subchondrale Läsionen


Differentialdiagnostisch bedeutsam sind u.a. das Karpaltunnelsyndrom, die Tendovaginitis stenosans de Quervain, degenerative Veränderungen zwischen Scaphoideum, Trapezium und Trapezoideum (STT-Arthrose), Kahnbeinpseudarthrosen, das seltene Os scaphoideum bipartitum und karpale Osteonekrosen bzw. Osteomalazien.

Therapiespektrum
Therapeutisch kommen konservative und operative Verfahren zur Anwendung – in der Regel auch in dieser Reihenfolge. Bei chronischen und eher gleichbleibenden moderaten Schmerzen sind enzymatische und klassische nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAR), Phytopharmaka wie hochdosierter Brennesselextrakt, Naturheilverfahren (z.B. Blutegeltherapie), lokale antiphlogistische Maßnahmen, ergo- und physiotherapeutische Behandlungen und temporäre Ruhigstellungen z.B. mittels flexibler Orthese mit Daumengrundgliedeinschluss und thermisch verformbaren Verstärkungseinlagen angezeigt (Abbildung 4).


Rhizarthrose - flexible Orthese mit Daumengrundgliedeinschluss

Aktivierte Arthrosen zwingen neben effektiven analgetischen Maßnahmen zu konsequenterer Ruhigstellung z.B. mittels thermoplastischer Schienen und vom Anspruch her knorpelregenerativen Methoden wie Pulsierender Magnetfeldtherapie (Pulsed Electromagnetic Fields, PEMF; Abbildung 5) oder Extrakorporaler Stosswellentherapie (ESWT).


Rhizarthrose – knorpelregenerative pulsierende Magnetfeldtherapie im Frühstadium

Rezidivierende Schübe und höhere Arthrosestadien bringen invasivere Behandlungen ins Spiel, u.a. die Radiosynoviorthese (RSO) mit Beta-Strahlern (Erbium-169) oder intraartikuläre Infiltrationen mit Steroiden, Hyaluronsäure oder plättchenreichem Plasma (Platelet Rich Plasma, PRP). Nach Ausschöpfen aller gängigen non- und semiinvasiven Behandlungsmaßnahmen bzw. primär in fortgeschrittenen Stadien sind operative Therapien indiziert, die danach unterschieden werden, ob sie Trapezium-erhaltend oder –nichterhaltend sind.

Zu ersteren Verfahren zählt die Denervation nach vorheriger diagnostischer Lokalanästhesie; denerviert wird die Funktion des Ramus articularis spatii interossei und des Ramus superficialis des Radialisnerven. Es besteht ferner die Möglichkeit der Stabilisierung durch Bandrekonstruktion mit einem Streifen der Flexor carpi radialis-Sehne oder mit der Abductor pollicis longus-Sehne. Umschriebene Knorpelläsionen können ggf. per Umstellungsosteotomie der Basis des 1. Mittelhandknochens therapiert werden.

Radikalere OP-Verfahren sind z.B. die Resektions-Suspensions-Interpositionsarthroplastik mit Interposition der Sehne des M. flexor carpi radialis, die alleinige Trapezektomie, die Trapezektomie mit passagerer Kirschnerdrahttransfixation oder permanenter mit Mini-TightRope®-Stabilisierung der Metakarpale 1- an der Metakarpale 2 –Basis, die Trapezektomie mit oder ohne Spacer (Silastik-Spacer, Tabo Tamp@-Spacer) und die Implantation von Daumensattelgelenkprothesen aus unterschiedlichen Materialien (Pyrocarbon, Metall-Keramik- oder Metall-Polyäthylen-Kombinationen) Karpometakarpale Arthrodesen finden kaum noch Anwendung, werden aber z.B. bei jüngeren Patienten wegen der gegebenen Stabilität noch eingesetzt. Entscheidend für die Wahl der vorteilhaftesten operativen Versorgung ist neben den Wünschen der Patienten auch deren Lebensalter und ihr Anspruch an die Funktion der Hand. Unter Berücksichtigung der Patientenzufriedenheit können alle zitierten Operationsverfahren bei individueller Indikationsstellung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem guten oder sehr guten Ergebnis führen.

Ist die Rhizarthrose ein alter Hut? Gibt es nichts Innovatives?
Ja, ganz bestimmt ein alter Hut und doch, aktuelle Trends gibt es sehr wohl, sagt Priv.-Doz. Dr. Jürgen Kopp, Chefarzt der zweitältesten Klinik für Plastische, Hand- und Mikrochirurgie Deutschlands im DIAKOVERE Friederikenstift Hannover:

- Die Rhizarthrose-Prävalenz wird nicht abnehmen aber das Spektrum der operativen Behandlungsmöglichkeiten bietet Betroffenen wirklich aussichtsreiche Perspektiven.
- Die Diagnostik ist einfach: Röntgen reicht, MRT und Arthroskopie sind entbehrlich.
- Die bloße Entfernung des Os trapezium war gestern – heute werden in fortgeschrittenen Arthrosestadien zusätzliche Interpositions- und Suspensionstechniken angewendet. Resorbierbaren Spacern und permanenten Metakarpalebasis-Transfixationen sollte der Vorzug gegeben werden.



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Dr. med. Frank Bätje

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Rhizo HiT

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